Jenseits des Protokolls
Ich trage nun einmal am liebsten Jeans und irgendein Shirt oder eine Bluse. Das bin ich, darin fühle ich mich wohl und so waren die Kleider für mich fast schon zu einer Verkleidung geworden, die ich über mein eigentliches Ich stülpte.
Wie gerne hätte ich an manchen Tagen einfach zu Christian gesagt: »Weißt du was, Schatz, ich habe heute so gar keine Lust dazu. Geh doch einfach mal alleine dahin.« Ich habe mich zu manchen Terminen wirklich hingeschleppt, obwohl es mir schlecht ging. Mehr und mehr fragte ich mich aber, ob es das Richtige ist, vor lauter Pflichtbewusstsein seine eigenen Bedürfnisse komplett zu übergehen, und das jahrelang. Und wenn ich es jetzt im Nachhinein betrachte, rächt sich dies auch in der Beziehung. Ich werfe dies Christian auch manchmal vor, dass er mich ein großes Stück auch in diese Rolle hineingedrängt hat. Was er einsieht. So gesehen nervt es mich übrigens auch häufig zu hören, dass ich es ja wohl gewesen sei, die ihn zum Amt des Bundespräsidenten beziehungsweise zur Kandidatur gedrängt habe. Das ist totaler Quatsch.
Es gab in den vergangenen Monaten schon Diskussionen, in denen ich meinem Mann gegenüber äußerte: »Jahrelang hat die Uhr nach deinem Takt geschlagen und jahrelang haben wir uns als Familie nach deinem Leben gerichtet. Jetzt ist es doch eine Selbstverständlichkeit, dass du mehr Präsenz zeigst und auch wir anderen in den Vordergrund rücken.« Denn es geht einfach nicht, ein funktionierendes Familienleben einzufordern und vorauszusetzen, die Welt bleibt heil, wenn man selbst kaum da ist, um etwas dafür zu tun. Und ich finde es großartig, dass sich in Christians Einstellung diesbezüglich etwas gewandelt hat. Es ist eine Chance, die sich ihm bietet und die er annimmt. Jetzt, wo er nicht mehr Bundespräsident ist, hat er mehr Zeit, sich um die Kinder zu kümmern, und tut dies. Er fährt mit ihnen in den Tierpark, hat sogar gemeinsam mit Torsten, Leanders Vater, den beiden Jungs und Annalena eine Woche Urlaub gemacht und war für die Kinder da, als ich mehr als zwei Wochen in London bei den Paralympics war.
Ich freue mich zu sehen, dass er für seine beiden Kinder, Linus und Annalena, mehr denn je da ist und Linus jetzt erst richtig kennenlernt. Damit meine ich zum einen, dass er sieht, dass es auch anstrengend ist, den Alltag mit zwei Kindern zu managen. Angefangen vom Einkaufen über das Essen machen und eben auch die Unterhaltung der Kinder. Er erlebt die Wutanfälle von Linus, der gerne ausprobiert, wie weit er gehen kann, wie lange er seine Eltern reizen kann, wo die Grenzen sind. Und Christian erfährt auch, was seinen kleinen Sohn beschäftigt. Früher, auch schon zu Zeiten des Amtes als Ministerpräsidenten, war mein Mann ja häufig nur frühmorgens und spätabends anwesend und auch dann hat er zumeist am Schreibtisch gesessen. In Linus’ Kopf hatte sich so ein Bild geformt von wegen »Papa, zu Hause, Schreibtisch«. Das Bild »Papa, zu Hause, Fußball spielen oder Spielplatz«, das gab es für Linus nicht. Da hat sich bei meinem Mann wirklich etwas grundlegend verändert. Wenn ihn Linus jetzt darum bittet, geht er mit ihm in den Garten und die beiden kicken eine Runde. Ich würde schon sagen, dass Christian ein besserer und vor allem bewussterer Vater ist, seit er nicht mehr Bundespräsident ist.
Für Linus ist es, glaube ich, eine Situation, die er noch nicht versteht. Mein Mann fährt jetzt wieder öfter nach Berlin und neulich fragte Linus ihn: »Papa, ich will auch mal wieder nach Berlin, und wann gehen wir eigentlich mal wieder ins Schloss?« Das fanden Christian und ich schon amüsant und ich sagte darauf zu meinem Sohn: »Papa arbeitet nicht mehr im Schloss.« Aber zu meiner Verwunderung stellt Linus sonst keine Fragen, ob sein Vater nicht zur Arbeit müsste. Er fragt ihn auch nicht, was er den ganzen Tag so macht. Nur dann, wenn er nicht in den Kindergarten möchte, versucht Linus sein Glück und hakt schon mal nach: »Aber Papa, du bist doch sowieso zu Hause. Dann kann ich doch auch zu Hause bleiben.« Das erscheint einem Kind absolut logisch. Dass Christian von zu Hause aus arbeitet bis das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist, kann er nicht nachvollziehen. Aber das ist ja auch normal.
Ich habe mir vorgenommen, mehr Zeit mit meinen beiden Söhnen zu verbringen. Mehr an ihrer Seite zu sein und die Dinge auch einfach einmal laufen zu lassen, statt sie fast bis auf die letzte Minute zu planen und auch planen zu müssen. Ich möchte
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