Jerry Cotton - 0506 - Der Toeter und die grosse Angst
mich gebeten, ein Päckchen bei Ihnen abzuholen.«
Vivian Hurst suchte Zeit zu gewinnen. Sie war es gewohnt, daß alles glatt und reibungslos ablief, und sah sich plötzlich einem kleinen Problem gegenüber. Das Mädchen war nicht dumm. Sie wußte, daß es keineswegs branchenüblich war, die heiße Ware an Unbekannte auszuliefern.
»Warum hat er mich nicht angerufen?« fragte sie. »Er hätte Ihren Besuch doch ankündigen können.«
»Anrufen kann jeder, nicht wahr? Wie hätten Sie mit Sicherheit sagen wollen, daß Art an der Strippe hängt? Es ist schwer, Sie überzeugen sich davon, daß alles seine Richtigkeit hat, indem Sie ihn anläuten.«
Das leuchtete ihr ein. Sie hatte Art Slickers Telefonnummer im Kopf. Offenbar war er einer ihrer guten Kunden. Ich wußte, daß Phil in Slickers Wohnung am Telefon saß und auf diesen Anruf wartete. Dieses Arrangement gehörte zu unseren Vorbereitungen. Ich hoffte, daß Vivian nicht über den fremden Klang der Stimme stolpern würde. »Hallo, Art«, sagte Vivian, als sich der Teilnehmer gemeldet hatte, »da ist jemand bei mir, der ein Päckchen abholen möchte…«
»Gordon Kick«, murmelte Phil bestätigend. »Das ist okay. Ich habe ihm das Geld mitgegeben. Achte darauf, daß das Päckchen versiegelt ist. Mir geht es lausig. Ich hatte einen Unfall.«
»Gute Besserung«, sagte Vivian. Sie legte auf und blickte mich an. »Fünfzehnhundert Dollar, bitte.« Ich gab ihr das Geld. Sie ging damit hinaus. Zwei Minuten später kam sie mit einem kleinen, in orangefarbiges Ölpapier gewickelten Päckchen zurück. Das Päckchen war versiegelt.
Vivian Hurst war Rod Gayers Mädchen. Sie spielte innerhalb des Syndikats eine kleine, aber aktive Rolle als Rauschgiftverteilerin. Sie schlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens verdiente sie sich ein hübsches Taschengeld dazu, und zweitens bewies sie ihrem Freund Rod, daß sie eine echte Gangstermolly war.
»So, meine Liebe«, sagte ich kühl. »Sie werden mich jetzt zum District Office begleiten. Ich bin G-man Jerry Cotton. Sie haben das Rauschgiftgesetz verletzt. Wie Sie wissen, gilt der Besitz von mehr als 1.7 Gramm eines einprozentigen Heroin-, Morphium- oder Kokainpräparates als Verbrechen.« Ich wies auf das Päckchen. »Wieviel ist drin?«
»Rauschgift?« keuchte sie. »Sie müssen den Verstand verloren haben. Ein Mann bringt das Päckchen jeden Dienstag her und bittet mich, es an Art weiterzuleiten. Ich kenne den Mann nicht.«
»Und das Geld?«
»Das kassiere ich in seinem Auftrag. Ich tue das doch nur Art zuliebe! Ich habe mit dem Päckchen nichts zu tun, gar nichts!«
»Können wir gehen?« fragte ich.
Vivian Hursts hübsche runde Schultern sackten nach unten. »Also gut«, seufzte sie. »Aber ohne vorherige Konsultation meines Anwaltes sage ich nichts aus!«
»Einverstanden«, nickte ich. »Anwälte wollen auch leben.«
***
Es war beinahe zu glatt gegangen.
Wir konnten Vivian Hurst zwar wegen der Verletzung des Rauschgiftgesetzes festnageln, doch das war nicht die eigentliche Absicht unserer Aktion.
Uns ging es um Rod Gayer, ihren Freund. Es war erstaunlich, daß dieser gerissene Fuchs es seiner Freundin gestattet hatte, als Rauschgiftverteilerin aufzutreten. Offenbar hatte er ihre Talente für diesen Job überschätzt.
Vivian Hurst hatte einen schweren Fehler gemacht. Sie war entschlossen, die Scharte wieder auszuwetzen. Ihr blieb gar nichts anderes übrig. Rod Gayer war zwar in sie verknallt, aber es gab ein paar Dinge, die er niemandem verzieh.
Vivian Hurst wußte das. Sie tischte uns also ein hübsches Märchen von dem großen Unbekannten auf. Nein, Rod Gayer hatte mit dem Päckchen nichts zu tun. Nicht das geringste. Rod war ein anständiger Mann. Phil und ich schluckten von diesem Unsinn soviel, wie wir vertragen konnten. Dann machten wir erst mal Pause.
Wir entdeckten, daß Vivian Hurst für mindestens siebzigtausend Dollar Schmuckwerte besaß. Wir stellten fest, daß ihre Wohnung jeder Millionärin Ehre gemacht hätte. Weiteres Rauschgift fanden wir jedoch nicht. Und selbst wenn wir ein ganzes Pfund davon herausgeholt hätten, wären wir damit unserem Ziel um keinen Schritt näher gekommen. Denn Vivian Hurst verschwieg uns hartnäckig den Namen des Lieferanten.
Unser Ziel hieß Rod Gayer. Wir wußten, daß das Rauschgift von ihm stammte. Dieses Wissen allein genügte aber nicht. Wir mußten es ihm beweisen.
Das war der Punkt, an dem bisher alle gegen Gayer gerichteten Aktionen gescheitert waren.
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