Rom: Band 1
I.
Während der Nacht hatte der Zug zwischen Pisa und Civita-Vecchia große Verspätung gehabt, und es ging bereits auf neun Uhr morgens, als der Abbé Pierre Froment nach einer anstrengenden, fünfundzwanzigstündigen Reise endlich in Rom anlangte. Er hatte nur einen Handkoffer bei sich. Rasch sprang er aus dem Coupé, mitten in das Gedränge der Ankommenden hinein, wies, da er gern allein sein und Umschau halten wollte, die dienstfertigen Träger ab und belud sich selbst mit seinem leichten Gepäck. Gleich darauf stieg er vor dem Bahnhof, auf dem Platz der Fünfhundert, in einen der längs des Trottoirs stehenden offenen Wagen und legte den Handkoffer neben sich, nachdem er dem Kutscher die Adresse zugerufen hatte:
»Via Giulia, Palazzo Boccanera.«
Es war am dritten September, an einem Montag, und der Himmel war klar, von einer bewunderungswürdigen Durchsichtigkeit und Milde. Der Kutscher, ein kleiner, rundlicher Mann mit glänzenden Augen und weißen Zähnen, lächelte, als er am Accent einen französischen Priester erkannte. Er peitschte sein mageres Pferd, und der Wagen fuhr in dem raschen Trab der reinlichen und freundlichen römischen Fiaker dahin. Aber fast gleich darauf, nachdem sie an dem Grün des kleinen Squares vorbeigefahren und auf dem Thermenplatz angelangt waren, drehte sich der Kutscher noch immer lächelnd um und deutete mit der Peitsche auf die Ruinen.
»Die Thermen des Diokletian,« sagte er in schlechtem Französisch. Er gehörte zu den artigen Kutschern, die den Fremden gefallen wollen, um sich ihre Kundschaft zu sichern.
Der Wagen fuhr in raschem Trab den steilen Abhang der Via Nationale hinab, die sich von der Höhe des Viminal, wo sich der Bahnhof befindet, herabzieht. Von nun an hörte er nicht mehr auf, bei jedem Monument den Kopf zu drehen und mit derselben Geberde darauf hinzuweisen. An diesem Ende der breiten, neuen Straße befanden sich nur Neubauten; aber seine Peitsche beschrieb einen weiteren Kreis, und seine Stimme hob sich, wenn auch etwas ironisch, als er den Namen eines ungeheuren, noch frischen und feuchten Baues auf der linken Seite nannte. Es war eine wahre Riesenpastete aus Steinen, überladen mit Skulpturen, Giebeln und Statuen.
»Die Nationalbank.«
Pierre hatte, seit seine Reise vor einer Woche beschlossen worden war, den ganzen Tag damit zugebracht, die Topographie Roms aus Plänen und Büchern zu studiren. Er hätte sich daher zu orientiren vermocht, ohne zu fragen, und die Erklärungen des Kutschers fanden ihn vorbereitet. Was ihn jedoch störte, das waren die plötzlichen Abhänge, die fortwährenden Steigungen, die gewisse Stadtviertel in Terrassen teilten. Nun kam auf der rechten Seite grünes Laubwerk, auf dessen Höhe sich ein endloses, gelbes und kahles Gebäude, ein Kloster oder eine Kaserne, hinzog.
»Der Quirinal, der Palast des Königs,« sagte der Kutscher.
Weiter unten, als der Wagen auf einen dreieckigen Platz einbog, bemerkte Pierre, den Blick hebend, zu seinem Entzücken einen von einer hohen, glatten Mauer getragenen hängenden Garten, aus dem das elegante und kräftige Profil einer hundertjährigen Pinie in den klaren Himmel aufstieg. Er empfand den ganzen Stolz und die ganze Anmut Roms.
»Die Villa Aldobrandini.«
Darauf kam, noch weiter unten, eine flüchtige Vision, die ihn vollends begeisterte. Die Straße beschrieb von neuem einen jähen Bug, als sich plötzlich im Winkel, am dunklen Ende eines Gäßchens, eine leuchtende Oeffnung zeigte. Der Platz sah von oben gesehen ganz weiß aus, wie ein Sonnenschacht, gefüllt mit blendendem Goldstaub. Und in dieser Morgenpracht erhob sich eine riesige Marmorsäule, die auf der Seite, wo das Gestirn sie bei seinem täglichen Aufsteigen seit Jahrhunderten bestrahlte, wie vergoldet war. Er war überrascht, als der Kutscher ihm ihren Namen nannte; denn er hatte sich nicht vorgestellt, daß sie in einer so leuchtenden Bucht, inmitten von solchen Schatten stehe.
»Die Trajanssäule.«
Am Fuß des Abhangs beschrieb die Via Nazionale eine letzte Krümmung. Der Kutscher nannte während der raschen Fahrt immer wieder neue Namen: den Palazzo Colonna, dessen Garten von mageren Cypressen begrenzt wird, den Palazzo Torlonia, den man behufs neuer Verschönerungen halb niedergerissen hatte, den Palazzo di Venezia mit seinen Mauerzinnen, seiner tragischen Strenge, kahl und schrecklich, wie eine mittelalterliche Festung aussehend, die da in dem bürgerlichen Leben von heut vergessen wurde. Die Ueberraschung
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