Jesses Maria - Hochzeitstag
konnte so ein Einkauf nicht beendet werden, bevor Thilo auch etwas gekauft hatte, das er plötzlich und unerwartet dringend brauchte.
Irgendwann muss Thilo gemerkt haben, dass Markenklamotten kein Ersatz fürs Sexualleben sind. Er legte sich Hobbys zu. Das heißt, zuerst kaufte er immer das Equipment und dann begann er mit dem Hobby. Zuerst kaufte er zum Beispiel die sündhaft teure Nikon-Kamera, dazu das Stativ, eine Tasche, Blitzapparate, Wechselobjektive. Sogar eine Dunkelkammer hatte er sich im Gästeklo eingerichtet, bevor er begann, seine Blumen- und Tierfotos zu schießen. Dann kaufte Thilo sich ein Surfbrett und das dazu passende Auto mit großem Dachgepäckträger, je zwei Neoprenanzüge für Sommer und Winter, Tiefenmesser, Kompass und Echolot fürs Handgelenk, bevor er sich zum Surfkurs für Anfängeram Baggerteich in Borlefzen anmeldete.
Noch später wurde Thilo wohl das, was man im Rheinland „ne fiese Möpp“ nennt.
Ich hab ihn selbst beobachtet, als er mal wegen einer Feuerwanzenplage fast verzweifelte. Die Feuerwanzen hatten zu Tausenden die niedrige Klinkermauer besiedelt, die das Hildebrandtsche Grundstück umgibt. Thilo hat alles Mögliche versucht: Feuerzeug, Bunsenbrenner, Domestos, Insektengift, Unkrautvernichtungsmittel, Hochdruckreiniger - die Biester kamen immer wieder. Schließlich hab ich gesehen, wie er sie haufenweise in die Kehrschaufel fegte, betont lässig und pfeifend zum Nachbargrundstück schlenderte, dann wie ein Ganove auf der Pirsch um sich blickte und – zack - die Kehrschaufel in hohem Bogen über die Koniferenhecke seines Nachbarn Dieter Brinkmann leerte. Und das tat Thilo so lange, bis an seiner Mauer keine einzige Wanze mehr zu finden war.
Irgendwie kam das aber raus und Dieter Brinkmann hat schrecklich getobt. Er hatte dabei das Wohnzimmerfenster offen, sodass ich das bei uns im Haus zufällig hören konnte. Aber Brinkmanns waren auf Zack. Die rächten sich subtil. Etwas später feierte Thilo seinen Geburtstag.
Die jüngste Tochter von Dieter Brinkmann brachte ihm ein Geschenk. Ich sah das - ganz zufällig - vom Badezimmerfenster aus. Es war ein in Cellophan verpacktes Präsent mit roter Schleife. Genau konnte ich es nicht erkennen, aber später erfuhr ich, dass Thilo es für Schokorosinen gehalten hatte. Erhatte sie auch gegessen. Und dann tagelang gekotzt.
Dieter Brinkmann und seine Frau hielten hinterm Haus Kaninchen im Stall. Die Köddel hatten sie mit Schokolade überzogen und liebevoll als Konfekt verpackt. Die ganze Siedlung hat tagelang über Thilo gelacht, als das rauskam.
Gebessert hat er sich aber nicht. Letztlich war seine Frau aber selber schuld. Wenn sie ihn wenigstens ab und zu mal „rangelassen“ hätte, wäre Thilo nicht so frustriert gewesen, da bin ich sicher. Ein befriedigter Mann klebt doch kein Konfetti unter die Treppenkanten, um zu kontrollieren, ob die Mieter aus der Dachgeschosswohnung die Treppe vernünftig geputzt haben, oder?
Ich schrieb nie ein Lied für Karin
Auch das ist ein Lied von Herrn Jürgens. Meine Patentante Karin mochte es sehr, natürlich. Tante Karin war nicht meine Tante, aber wir nannten damals fast alle Frauen aus dem Bekanntenkreis meiner Eltern „Tante“ und logischerweise die Männer „Onkel“.
„Wenn man zwei Blagen hat, bleibt man doch zu Hause“, hatte meine Mutter zu ihrer Freundin Tante Hilde gesagt. Sie fand es nicht gut, dass Tante Karin putzen ging, obwohl sie Blagen hatte. Tante Hilde stimmte meiner Mutter zu: „Horst kann seine Bagage nicht allein ernähren, deswegen muss Karin mitarbeiten, ein Jammer ist das.“
Unser Vatti konnte seine Bagage ernähren, er fuhr jeden Morgen mit dem Fahrrad in die Firma und dafür bekam er eine Lohntüte. Ich hatte damals natürlich keine Ahnung, was eine Lohntüte ist, aber ich wusste, dass ein Mann sie bekommen musste, damit seine Frau nicht bei fremden Leuten reinemachen ging.
Meine Mutter putzte bei uns zu Hause den ganzen Tag. Das war quasi ihr Beruf. Sie wusch das Geschirr im Spülstein ab. Sie ging in den Keller und holte Eierkohlen und Briketts in schwarzen Blecheimern rauf und schüppte sie in den Ofen. Sie nahm mich mit zum Einkaufen. Bei Bäcker Tepe bekam ich ein kleines Eckchen Platenkuchen, bei Schlachter Sulzbacher eine Scheibe Fleischwurst, und in der Drogerie Düker erlaubte mir der Mann im weißen Kittel, ein Pullmoll-Bonbon aus dem Spender zu drehen. Überall machte ich einenKnicks und bedankte mich artig, ich gab immer das schöne
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