Jesuslatschen - Größe 42
auf, drei Frauen, die sicher nicht zusammengehören, bilden für
mich eine Einheit. Schuld daran ist meine Eigenart unsere Nationalfarben direkt
in Fotomotive umzuwandeln. Eine Frau hat eine schwarze Hautfarbe und ist dazu
schwarz gekleidet, die Dame daneben trägt einen roten Pullover und die Dritte
im Bunde, welche nur wegen ihrer Kleidung dazugehört, ist in eine gelbe
Windjacke gehüllt. Um eines Schnappschusses willen jetzt zur Kamera zu greifen
liegt mir fern. Dieses eine Nicht-Foto gilt in meinem Kopf als Synonym für die
Pilgermesse in Santiago. Es hat sich in meinem Kopf verewigt. Sehr viele der
Anwesenden halten es nicht aus, sie reißen ihre Kamera hoch und knipsen wild
drauf los. Was wollen sie eigentlich festhalten?
Endlich
hier, möchte ich nun auch ergründen, was Salvador Dalí 1957 in seinem
großformatigen Gemälde „Der heilige Jakob von Compostela“ verarbeitet hat.
Hauptaussage ist für mich, dass sich hier an diesem Ort alle vier Winde treffen
und zu Null addieren. Hier ist für ihn der Pol. Der Mensch unter der Kuppel der
Kathedrale berührt und wird gleichzeitig berührt. Dieses einzige Gefühl hatte
ich zu Beginn im Kölner Dom. Bedingt durch die anwesenden Massen, finde ich
nicht die nötige Ruhe, um diese Gedanken aufzunehmen. Es ist ein Hören und
Sehen. Nur wenn ich die Augen schließe, erreicht mich für Momente eine innere
Freude.
Nun
werden feierlich die Namen der Pilger, deren Nationalität und der Ausgangsort
der Pilgerreise verlesen. Es folgt ein Segensgebet für alle Pilger. Am Ende
einer langen Reihe bekommen die Pilger das Abendmahl. Das Blut und den Leib
Jesu in Form einer Oblate und gesegneten Weines. Nun stehe ich da mit meiner Spiritualität, wieder einmal weiß ich nichts
mit mir anzufangen. Nach zögerlichem Hin und Her sage ich zu mir: „Nimm es an.
Wo sonst soll es dir gegeben werden, wenn nicht hier!“ Ich gehe nach vorn und
reihe mich ein. Bald merke ich, dass ich wirklich der Letzte in dieser Reihe
bleibe. Der Wein im Kelch ist schon versiegt, aber vom Leib Christi bekomme ich
gerade noch etwas auf die Zunge. Halleluja.
Ein
bewegender Moment ist es, als zum Ende des Abendmahls erneut festlich die Orgel
erklingt und die Pilger sich gegenseitig die Hände reichen, begrüßen, umarmen
und wie auch immer Anteil nehmen. Da jeder, der diesen Weg wirklich gegangen
ist, weiß, wie diese gemeinsame Freude entsteht und was es bedeutet, seinem
Gegenüber die Hand zu reichen. Diese einzelnen, für mich ungewohnten Zeremonien
und Handlungen in der Kathedrale finde ich gut, da sie dem Ziel eine
Feierlichkeit geben, die dem Erlebten wirklich entspricht. Obwohl jeder
Anwesende anders ist als sein Nachbar, wird ein Gleichsinn erzeugt. Mit
Glockengeläut wird die Messe beendet. Draußen blendet das Licht und die frische
Luft dringt in die Lungen. Der Platz füllt sich zu dieser Stunde mit aus der
Kathedrale strömenden und den neu ankommenden Pilgern. An der Nordseite des
Platzes steigen noch immer Tagestouristen aus Reisebussen und bevölkern die
Altstadt. Der Organismus Santiago funktioniert.
Wenn
die vormittägliche Touristentour durch die Klimbimläden beendet ist, sehen sich viele Menschen sehr ähnlich. Ältere Leute tragen dann
meist überdimensionale Jakobsmuscheln mit einer Kordel um den Hals. In Tüten
tragen meist Frauen ein bis vier „ Tarta Santiago“.
Das ist eine flache Torte aus einem Mandelteig. Diese ist mit Puderzucker
übersiebt, in deren Mitte hebt sich tortenfarben das Jakobskreuz vom
aufgebrachten Staubzucker ab. Ausgeliefert wird diese in flachen
Pappschachteln, wie wir sie von den Karlsbader Oblaten her kennen. Kinder
kommen meist an den ultimativen St. Jakobus Pilgerhüten nicht vorbei. Sie legen
dann einen Teil des Taschengeldes in eine Verstümmelung des Originals an.
Sofern man die Statue des heiligen Jakobus über dem Kirchenportal als Vorlage
benutzt hat. Jugendliche kommen mit interessanten T-Shirts daher, meist mit
keltischer Symbolik. Ein kleinwenig erinnert mich dieser kollektive Umzug an
Fasching.
Natürlich
bekommt man auch wertvolle Stücke zu kaufen. Am südlichen Platz vor der
Kathedrale sind die Silberschmiede angesiedelt, dieser Platz ist auch nach
ihnen benannt. In weiten Schaufensterauslagen werden meist Andenken gezeigt. Im
Inneren aber gleichen die Geschäfte Galerien.
Die
Auslage eines kleinen Buchgeschäftes macht mich neugierig. Der Besitzer stellt
mir eine recht kunstvolle gesiegelte Schriftrolle mit Name, Ort und Datum
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