Jesuslatschen - Größe 42
wie raus hier, an die frische Luft.
Im
dunklen Treppenflur wird die Musik, welche mich vor einer viertel Stunde
geweckt hat, immer lauter. Unter einem spärlich beleuchteten Gewölbebogen,
direkt neben dem Eingang, sitzt ein junger Troubadour und singt zur Gitarre.
Draußen
ist es schon dunkel. Ein unendlicher Menschenstrom bedient sich der Stadt, oder
umgekehrt. Den Arkaden folgend, lerne ich meine nähere Umgebung kennen. Straßencafés,
Bistros, Souvenirläden, kleine Galerien, Ausstellungen, das sind so die ersten
Eindrücke. In einer kleinen Tapas-Bar suche ich mir am Tresen schmackhafte
Sachen aus und speise ausgiebig. In der Gesellschaft Gleichgesinnter ist der
Genuss ein anderer.
Langsam
aber sicher finde ich mich hier in Santiago de Compostela ein und fühle mich
sehr wohl. Durch die Straßen und Gassen der Altstadt geht es sich leicht, man
sucht nichts mehr, man ist einfach da.
Das
Stimmengewirr und der Menschenstrom stören in keiner Weise, wie soll ein
Pilgerort ohne Pilger funktionieren? Ständig begrüßen sich herzlich Menschen,
erzählen, lachen, fragen nach anderen Wegbegleitern, tauschen sich aus. Ich
halte auch Ausschau nach vertrauten Blicken, in der Hoffnung Gérald aus
Frankreich zu treffen. Das mir K+P+C+P begegnen werden, dessen bin ich mir
ziemlich sicher. Als ich auf dem Kathedralenplatz ankomme, packt der Harfespieler gerade sein
Instrument ein und verlässt seinen Spielplatz. Ich setze mich auf eine flache
Mauer am westlichen Rand des Platzes und schaue einfach auf die erhellte
Fassade dieses Bauwerkes.
Der
Platz wird zusehends leerer. Später, eine viertel Stunde vor Mitternacht, gehe
ich zum Punkt Null und lege mich mitten auf den Platz, eine Hand liegt auf der
steinernen Jakobsmuschel. Der Himmel hinter der grell angestrahlten Fassade der
Kathedrale vor mir ist fast schwarz. Über mir zeigen sich Sterne, ich bin am
Ziel des Sternenweges, von dem ich so lange geträumt habe. Ein Gefühl sonders
Gleichen. So liege ich einfach da, ohne viele Gedanken im Kopf. Die Welt könnte
ich umarmen. Als die Uhr der Kathedrale zwölf schlägt, huscht mir ein leichtes
Schmunzeln über das Gesicht. Das erste Mal nehme ich seit Langem aktiv die Zeit
wahr. In meiner Tasche befindet sich ein Minifläschchen „Charly“. Das hab ich
als Reisemedizin mit auf den Weg genommen. Es sollte etwaigen Magenbeschwerden
entgegenwirken. Da es soweit nicht gekommen ist, werde ich die Medizin nun
prophylaktisch „einnehmen“. Ein stiller Genuss an einem jetzt sehr stillen Ort.
Still erhebe ich mich und gehe ebenso in meine Hausmeister-Kemenate. Lächelnd.
Gute
Nacht, heiliger Jakobus.
Montag, 15.05.2006
Santiago
de Compostela
Ein
Luxusmorgen, ich bleibe einfach liegen. Da der Hausmeisterraum dunkel ist, geht
es um diese frühe Stunde. Der späte Griff zum an der Wand baumelnden
Lichtschalter erleuchtet wieder die Realität meiner Behausung. Ein weißer
Kittel vom „SUPERMARCADO“, sowie ein durchsichtiger blauer Regenschirm und ein
abgelegter Pilgerhut sind die Utensilien, mit denen ich mich vielleicht aus
Frust verkleide. Im Spiegel dieser Hausmeisterbude verkörpere ich nun das
ultimative Señor Manoli Double. Ich gebe den „ Manoli “ und lache herzhaft, denn ein Zusammenhang fällt mir
auf. Die erste Nacht als Pilger habe ich im Bürgermeisterbüro verbracht. Ein
Hausmeisterbüro dient als Unterkunft für die erste Nacht in Santiago. Langsam
aber sicher mutiere ich zum Bürohengst. Nun aber raus hier, Morgentoilette und
ab in die Puschen.
Der
späte Morgen unter den Kolonnaden ist trüb und kühl, es nieselt. Deshalb kehre
ich in ein gemütliches Bistro ein. Dort haben es sich schon drei aufgeregte
Pilgerpaare bequem gemacht. Die zugehörigen Frauen sind meist nur kurz zwischen
zwei Shopping-Attacken zu sehen. Nun werde ich aber unbedingt eine wichtige
amtliche Sache erledigen. Im „Official de Peregrino “
ist um diese Zeit noch kaum ein Pilgermensch. Der untere Bereich des
Treppenhauses steht voll mit Pilgerstöcken aller Formen und Variationen. Aus
den vielen verschiedenartigen Gehhilfen ist ein verästeltes Kunstwerk
entstanden. Wenn diese Kameraden reden könnten. In der ersten Etage befindet
sich das Pilgerbüro. Hier bekomme ich von einer netten jungen Frau, nach
Vorlage des Pilgerpasses, die „Compostela“ ausgestellt. Die „Compostela“ ist
die offizielle Pilgerurkunde für die Jakobspilger. Man erhält diese Urkunde,
wenn man mindestens einhundert Kilometer zu Fuß nach
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