Jetlag
Ellbogen.
"Das fragst du noch?" Er schüttelte den Kopf. "Dein Anruf hat mich total aus der Bahn geworfen. Ich dachte, du tust dir jeden Moment etwas an oder drehst vollkommen durch. Am liebsten hätte ich einen Privatjet gechartert, um schneller bei dir zu sein."
Claire sah ihn mißtrauisch aber zugleich auch selbstkritisch an.
"Ich hab tatsächlich ziemlich konfuses Zeug losgelassen", gab sie zu. "Tut mir leid, aber ich befand mich tatsächlich in einem scheußlichen Zustand."
"Klar, ist doch in Ordnung." David legte sich wieder hin. "Aber jetzt müssen wir zusehen, daß wir schnellstens die Heiratserlaubnis kriegen." Er streckte sich genüßlich. "Aaach, ich freu' mich auf das Baby."
Claire beobachtete ihn erstaunt.
"Ich dachte, du kannst Kinder nicht ausstehen?"
David nickte.
"Ich finde sie nervig", bestätigte er unumwunden. "Aber doch nicht meine eigenen!"
"Moment!" Claire setzte sich auf. "Das verstehe ich nicht. Du kannst fremde Kinder nicht ausstehen, findest aber die eigenen...du hast doch gar keine eigenen Kinder."
"Hör zu." Jetzt richtete sich auch David auf. Behutsam nahm er Claires Gesicht zwischen seine Hände und küßte sie zärtlich auf die Nasenspitze. "Ich habe keine eigenen Kinder, noch nicht, aber ich weiß, daß ich sie mögen werde, weil ich mich bereits jetzt tierisch auf das Kleine freue. Und jetzt hör auf, mich zu löchern. Laß uns lieber aufstehen und irgendwelche Dinge tun, die es uns ermöglichen, schnell zu heiraten. Oder willst du mich etwa immer noch hinhalten?"
Claire legte die Stirn in Falten.
"Ich weiß nicht..."
Weiter kam sie nicht. David hatte sich mit einem Schrei auf sie gestürzt und begann sie zu kitzeln, bis sie vor Lachen keine Luft mehr bekam.
Kapitel 25
Gottes Mühlen mahlen langsam, aber die Mühlen der deutschen Bürokratie mahlen noch viel langsamer! Bis alle Papiere, Genehmigungen und beglaubigte Übersetzungen vollständig vorlagen, blühten die ersten Narzissen in den Vorgärten.
Dazu kam, daß Claire und David noch einiges zu regeln hatten. Die Frage des gemeinsamen Wohnsitzes mußte geklärt werden. Claire mußte eine Vertretung für die Boutique finden und David mußte seine Bosse davon überzeugen, daß er ihnen in der deutschen Niederlassung ebenso nützlich war, wie in Mutterfirma in Colorado.
Aber endlich war es dann soweit. An einem wunderschönen Maivormittag öffneten sich die Türen des Standesamtes in der Wellritzstraße und das frischgebackene Ehepaar trat in den strahlenden Sonnenschein hinaus.
Auf dem gepflasterten Vorhof wurde die beiden von rund fünfzig festlich gekleideten Gratulanten erwartet, die vor der geschwungenen Freitreppe ein Spalier bildeten. Am Ende dieses Spaliers wartete ein Holzbock, auf dem ein dicker Baumstamm nebst Säge wartete, den das Brautpaar durchtrennen mußte.
Claire stieß einen unterdrückten Fluch aus, als sie das Monstrum sah.
"Wie ich die Bande kenne, haben sie die stumpfeste Säge genommen, die weit und breit zu finden war."
"Keine Sorge", flüsterte Daivid grinsend. "Was ein echter Rocky-Moutains Bursche ist, der beißt so einen Stamm notfalls durch."
"Dann beiß' schnell", raunte Claire zurück und unterdrückte mühsam ein Stöhnen. "Wir haben's nämlich eilig. Ich glaube, das Baby mag nicht mehr warten."
"Oh Gott!" David war blaß geworden. "Sollen wir - müssen wir - haben wir...?"
"Fang an zu sägen!" forderte Claire und schob David auf den Baumstamm zu. "So schnell kommen Babys nicht auf die Welt."
David sägte, daß ihm der Schweiß auf der Stirn stand, aber mittendrin mußte Claire, die auf der anderen Seite stand und mithalf, aufgeben. Das leise Ziehen, das sich bisher nur diskret in unregelmäßigen Abständen gemeldet hatte, war, wahrscheinlich durch die ungewohnte Anstrengung, zu einer heftigen Schmerzattacke geworden.
Plötzlich, ohne Vorankündigung, setzten so heftige Wehen ein, daß Claire nur noch aufschreien und sich an Davids Anzugjacke krallen konnte. Sie spürte deutlich, daß das Baby in die Welt hinausdrängte und das ganz massiv!
"Einen Arzt!" hörte Claire jemanden schreien, während sie bereits von der nächsten Wehe überrollt wurde.
"Einen Kranwagen!" brüllte eine andere Stimme.
Claire war alles egal. Sie wußte nur eines: Bis ins Krankenhaus würde sie es nicht mehr schaffen.
Mit Davids und Ritas Hilfe gelang es wenigstens noch, Claire ins Standesamt. In einem Nebenraum betteten sie die Stöhnende auf das einzige Möbel, das ihnen zur Verfügung stand:
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