Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
verlosch. Wenn es um ihre Arbeit ging, war Julia so humorvoll wie Stalin. »Es geht um eine Stelle als Sourcing Strategy Professional, Knut. Eine sehr gute Stelle.« Sie seufzte. »Ist ja auch gleich, ihr versteht ja doch nichts davon. Jedenfalls hat sich Herkules’ Hundesitterin ausgerechnet heute die Hüfte gebrochen. Ich muss ihn für ein paar Tage bei euch lassen.«
Typisch Julia. Warum freundlich fragen, wenn es eine klare Mitteilung auch tut? Unsere Tochter hatte zweifellos eine große Karriere vor sich. Noch so ein Punkt, in dem wir uns unterschieden, sie und ich. »Für ein paar Tage? So eine Hüfte wächst doch nicht in ein paar Tagen wieder zusammen.« – »Sobald ich aus Zürich zurück bin, finde ich schon jemanden für den Kleinen.« Sie kraulte dem Biest den Kopf, das in diesem Moment tatsächlich aussah wie ein echter Schoßhund.
Eine halbe Stunde später war Julia verschwunden, Herkules nicht. Der thronte schon wieder auf unserem Sofa und grinste triumphierend in mein übellauniges Gesicht. Ich zog mich ins Schlafzimmer zurück, wo Paul und Paula sich auf dem Bett gegenseitig putzten, und fuhr den Rechner hoch. Mal gucken, was Google zum Thema Neuanfang zu bieten hatte. »Neustart mit 45 Jahren« gab ich ein. »45 Jahre Audi, Neustart mit Nummer 80«, antwortete Google. Nach einer ernüchternden halben Stunde bestellte ich mir schließlich ein Buch zum Thema Frauencoaching. Und sicherheitshalber auch noch eins mit dem vielversprechenden Titel »Der Arschlochfaktor. Vom geschickten Umgang mit Despoten«. Nur für den Fall, dass es mit meinem Neuanfang noch etwas dauern würde. Tief drinnen wusste ich sowieso, dass ich dazu nie den Mut aufbringen würde. »Sie haben eine neue E-Mail«, meldete der Computer.
Betr.: Ihr Gewinn mit Ihrem Lotto-Normalschein Nr. 5322876
Herzlichen Glückwunsch, Elisabeth Karg
Auf Ihren Tippschein ist ein Gewinn von 270 000 EUR entfallen. Bei der Lotto-Ziehung vom 29.5.2011 haben Sie mit Ihrem Lotto-Normalschein 5322876 insgesamt 270 000 EUR gewonnen.
Der Gewinn ergibt sich aus:
7 richtige Endziffern Spiel 77 (270 000 EUR)
Das war ein Scherz. Das konnte nur ein Scherz sein. Ich hatte noch nie etwas Wertvolleres gewonnen als einen Teddybären auf dem Hamburger Dom. Natürlich den kleinsten. Ungläubig starrte ich auf die Mitteilung. Im Lotto gewonnen. Ich. 270 000 Euro. Ist nicht wahr. Oder? Ich musste das prüfen. Hektisch scrollte ich mit der Maus den Text der Mail weiter, suchte nach einer Servicenummer. Ich wollte eine Bestätigung von einem echten Menschen. Im Wohnzimmer klingelte das Telefon, und einen Moment lang dachte ich: der Lottobote! Knut ging dran. Ich kopierte die Gewinnmitteilung in ein Word-Dokument. Dann stand Knut plötzlich im Raum und sagte mit ganz kleiner Stimme: »Mutti ist im Krankenhaus. Verdacht auf Schlaganfall.«
4
D a war sie. Gleich rechts neben der Eingangstür. Sie stand in einer von Granit umrahmten Glasvitrine. Ich legte die Hand an den kalten Stein. Oder war das schwarzer Marmor? Auf jeden Fall hochklassig. Elegant. Wie alles hier am Neuen Wall. Und wie sie. Jackie. Schwarzes Nubukleder mit orangefarbener Paspelierung, Schmuckteile in hellem Gold, orangefarbenes Lederfutter. Die schönste Handtasche der Welt. Und jetzt kam das Größte: Ich, Lilli Karg, ich, Lillian Reich, würde gleich die heiligen Hallen von Gucci betreten, um Jackie zu kaufen. Für tausendvierhundertneunzig Euro. Als wäre es nichts. Und zwar mit meiner nagelneuen Platin-Visa-Karte. Nicht zu fassen, oder?
Seit sich die Zahl zweihundertsiebzigtausend vor meinen Augen auf dem Computerbildschirm materialisiert hatte, waren drei Monate vergangen. So richtig hatte ich mich noch nicht an das Geld gewöhnt, das inzwischen tatsächlich auf meinem Konto war. Aber den Laden betrat ich mit einem souveränen Lächeln und nicht etwa mit dem nervösen Kichern, das eigentlich in mir steckte und an die Luft wollte. Wer bei Gucci im Eingangsbereich steht und kichert, hat schon verloren. Ich nahm mir Zeit, spazierte an den dezent beleuchteten weißen Regalen vorbei, berührte hier edles Leder, dort ein flauschiges Tuch. Plauderte mit der Verkäuferin. Ließ sie die Jackie aus der Vitrine holen. Hängte sie mir über meine in Strenesse gehüllte Schulter. Sagte schließlich ganz lässig: »Ich denke, ich nehme sie.«
Schade war nur, dass ich sie nicht in den Sender mitbringen konnte. Knut war kein Problem, der konnte eine Gucci-Tasche nicht von einem Einkaufsnetz
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