Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
jetzt gehen wir schlafen.«
»Wollt ihr denn nicht im Palast übernachten?« fragte der Kaiser verwundert.
Aber Lukas und Jim meinten, sie wollten lieber in ihrer Lokomotive schlafen. Da sei es sehr gemütlich, und sie wären das jetzt schon so gewöhnt.
Also verabschiedeten sich alle voneinander und wünschten sich gute Nacht. Der Kaiser, der Oberhofkoch und Fing Pong versprachen, sie wollten am nächsten Morgen ganz früh wiederkommen, um den Freunden Lebewohl zu sagen. Dann trennten sie sich.
Lukas und Jim stiegen in das Führerhäuschen ihrer Lokomotive, Fing Pong und der Oberhofkoch gingen in die Küche, und der Kaiser verschwand in seinem Palast.
Bald darauf schliefen alle.
Zwölftes Kapitel
in dem die Fahrt ins Ungewisse beginnt und die beiden Freunde die ›Krone der Welt‹ sehen
»He, Jim, wach auf!«
Jim richtete sich auf, rieb sich die Augen und fragte verschlafen: »Was is’ denn?«
»Es ist Zeit«, sagte Lukas. »Wir müssen gleich losfahren.«
Mit einem Schlag war Jim hellwach. Er schaute zum Fenster des Führerhäuschens hinaus. Der Platz war menschenleer. Es war noch dämmerig. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Eben öffnete sich die Küchentür, und Herr Schu Fu Lu Pi Plu trat heraus. Er hatte eine große Tüte in der Hand und schritt auf Emma zu. Hinter ihm drein kam der kleine Fing Pong, das winzige Gesicht in kummervolle Falten gelegt. Aber er gab sich sichtlich Mühe, eine würdevolle Haltung zu bewahren.
»Hier«, sagte der Oberhofkoch, »ich habe noch ein paar belegte Brote als Reiseproviant für die ehrenwerten Fremdlinge gemacht. Sie sind nach lummerländischer Art gestrichen. Hoffentlich schmecken sie Euch.«
»Danke«, antwortete Lukas. »Das ist aber nett, daß Sie daran gedacht haben!«
Plötzlich fing Fing Pong an zu weinen. Er konnte seinen Schmerz beim besten Willen nicht mehr unterdrücken.
»Huhuhu, ihr ehrenwerten Lokomotivführer«, schluchzte er und wischte sich die Tränen aus dem winzigen Gesicht, »entschuldigt bitte, daß ich weine. Aber kleine Kinder in meine m Alter - huhuhu - weinen eben manchmal, man weiß nicht recht, warum…«
Lukas und Jim lächelten gerührt, und dann schüttelten sie ihm vorsichtig seine kleine Hand, und Lukas sagte:
»Wir wissen es, Fing Pong. Leb wohl, unser kleiner Retter und Freund!«
Schließlich kam auch der Kaiser. Er war noch blasser als gewöhnlich und schien sehr ernst.
»Meine Freunde«, sprach er, »möge der Himmel euch beschützen, euch und meine kleine Tochter. Von nun an werde ich mir nicht mehr nur um Li Si Sorgen machen, sondern auch um euch beide. Denn ich habe euch liebgewonnen.« Lukas stieß dicke Rauchwolken aus seiner Pfeife vor Rührung und brummte:
»Na, es wird schon alles gut gehen, Majestät.« »Hier ist noch etwas heißer Tee für euch«, sagte der Kaiser und überreichte Lukas eine goldene Thermosflasche. »Heißer Tee ist immer gut auf einer Reise.«
Lukas und Jim bedankten sich, dann stiegen sie ein und schlössen die Türen des Führerhäuschens. Jim ließ das Fenster herunter und rief: »Auf Wiedersehen!«
»Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!« antworteten die Zurückbleibenden. Emma setzte sich in Bewegung, und alle winkten, bis sie einander nicht mehr sehen konnten: Die Reise nach Drachenstadt hatte begonnen.
Zuerst ging die Fahrt eine Weile durch die menschenleeren Straßen, dann erreichten sie das flache Land und ließen die goldenen Dächer von Ping hinter sich.
Die Sonne ging auf, und das Wetter war so strahlend schön, wie man es sich für eine Expedition nur wünschen kann.
Sie fuhren den ganzen Tag, ohne eine einzige Unterbrechung, quer durch das Land Mandala immer auf das geheimnisvolle ›Tal der Dämmerung‹ zu.
Am zweiten Tag kamen sie an weiten Gärten und Feldern vorüber und dampften durch Dörfer, wo ihnen die mandalanischen Bauern und Bäuerinnen mit ihren Kindern und Kindeskindern zuwinkten. Niemand hatte jetzt mehr Angst vor Emma. Die Nachricht, daß zwei Fremde auf einer Lokomotive auszogen, um die Prinzessin Li Si zu befreien, hatte sich natürlich wie ein Lauffeuer im ganzen Land verbreitet.
Am dritten Tag erblickten die beiden Freunde eines der berühmten mandalanischen Schlösser aus weißem Marmorstein. Es lag mitten in einem See. Auf vielen zierlichen Säulen schwebte es über dem Wasser. Dort wohnten junge mandalanische Edeldamen. Lukas und Jim konnten die Mädchen mit ihren seidenen Fächern winken sehen und winkten ihnen mit ihren Taschentüchern
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