Blumen Für Sein Grab
KAPITEL 1
»Heute musst du mit den Hunden gehen, Nevil!«, rief Mrs. James.
»Ich muss nach Chippy, Hundefutter und Katzenstreu kaufen!«Ihr Sohn blickte von dem mit Papieren übersäten Tisch auf. Er setzte die Brille ab und blinzelte seine Mutter aus blassen blauen Augen an, weil diese eine ganze Weile benötigten, um das, was sie sahen, scharf zu stellen.
Mrs. James wartete geduldig ab und dachte nicht zum ersten Mal, dass Nevil ohne seine Brille ein halbwegs gut aussehender Mann war. Wann immer diese Gedanken durch ihren Kopf gingen, empfand sie eine Mischung aus mütterlichem Stolz und wilder Befriedigung. Solange keine Frau Nevil am Haken ihrer Angel hatte, würde er bei ihr bleiben und ihr Hilfe und Unterstützung gewähren. Trotz einer tief sitzenden Geringschätzung des männlichen Geschlechts im Allgemeinen gestand Mrs. James bereitwillig ein, dass sie einen Mann zur Unterstützung in ihrem Alltag brauchte – selbst wenn es nur Nevil war.
»Ich habe mit den monatlichen Abrechnungen angefangen«, sagte Nevil.
»Kann denn nicht Gillian gehen?«
»Nein, auf gar keinen Fall! Sie muss sämtliche Katzenkäfige sauber machen! Du könntest ihr im Gegenteil ein wenig zur Hand gehen, sobald du mit den Hunden draußen warst. Schließlich haben wir im Augenblick nur vier. Du könntest die Bücher auch heute Abend machen.« Angesichts dieses Zeitplans, der seinen gesamten Tag umfasste, fühlte sich Nevil einmal mehr genötigt zu protestieren.
»Ich habe auch noch andere Dinge zu tun, wie du weißt!«
»Zum Beispiel?« Mrs. James zog sich eine ihrer ärmellosen, dick abgesteppten Westen an – oder genauer gesagt, die bessere ihrer beiden Westen –, weil sie in die Stadt fahren würde. Es war ihr einziger Versuch, sich ein wenig zurechtzumachen. Sie trug ein khakifarbenes Baumwollhemd über einer braunen Kordhose und schwere Schnürstiefel. Die Rundungen ihrer vollen, von keinem Büstenhalter gestützten Brüste unter dem Hemd waren der einzige Hinweis auf ihr Geschlecht. Ihr Haar, kurz geschnitten wie bei einem Mann, war stahlgrau und drahtig wie ein Pferdestriegel. Ihr Gesicht war wettergegerbt und von tiefen Linien durchzogen und bar jeden Make-ups. Sie war erst neunundvierzig Jahre alt, doch sie wirkte wie aus Teak geschnitzt, das eine Ewigkeit Regen und Wind ausgesetzt war, bevor es dauerhaft zu einem Bestandteil der Landschaft geworden war. Wie immer schürte Nevils Andeutung, dass er Interessen besitzen könnte, welche nicht unmittelbar den Zwinger und die Katzenpension betrafen, das nie verlöschende Feuer des Misstrauens und Unwillens in Mrs. James’ von Kämpfen zernarbtem Herzen.
»Ich habe Rachel versprochen, dass ich nach Malefis kommen würde. Sie möchte noch eine Stunde Schachunterricht, und es muss heute sein, weil sie und Alex morgen nach London zur Chelsea Flower Show fahren wollen.«
»Um Himmels willen!« Mrs. James’ gebräuntes Gesicht nahm einen dunklen, wenig attraktiven Rotton an.
»Kann sich diese nichtsnutzige Frau denn nicht einmal für einen einzigen Tag mit sich selbst beschäftigen?!«
»Sie ist nicht nichtsnutzig!«, widersprach Nevil und errötete ebenfalls, wenn auch nur leicht.
»Sie ist nur nicht so wie du, Ma.« Hastig fügte er hinzu:
»So tüchtig.« Seine Mutter blinzelte ihn an.
»Ich bin deswegen so tüchtig, weil ich es verdammt noch mal sein musste! Ich habe hart gearbeitet, Nevil, damit wir ein Dach über dem Kopf haben!«
»Ich weiß, Ma.« Er setzte seine Brille wieder auf und nahm den Stift zur Hand. Er klang gelangweilt. Aus keinem anderen Grund als dem, dass sie dieses Gespräch schon zu oft geführt hatten und er es nicht mehr hören konnte, wie sie wusste, doch sie konnte nicht anders. Sie spürte Zorn und eine dumpfe Wut in sich brennen, weil sie nicht verhindern konnte, dass Nevil eines Tages von ihr weggehen würde, genau wie es sein Vater getan hatte. Nevil war siebenundzwanzig Jahre alt und sah seinem Vater nicht nur äußerlich ähnlich.
»Verdammt!«, brach es heftig aus Mrs. James hervor. Nevil schrieb unbeeindruckt weiter. Er war an das häufig anlasslose Murren seiner Mutter gewöhnt.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Person genügend Verstand besitzt, um Schach zu spielen!« Offensichtlich wollte seine Mutter das leidige Thema nicht fallen lassen.
»Versuch es doch mal mit ›Mensch Ärgere Dich Nicht‹! Darin müsste sie eigentlich ganz gut sein.«
»Ehrlich gesagt ist sie auch im Schach ziemlich gut. Sie hat eine
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