Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
mit großen runden Augen, ein Kopf, der entfernt an ein Nilpferd erinnerte, nur daß er gelb und blau getüpfelt war. Der Kopf saß auf einem zarten Körperchen, an dessen anderem Ende ein langer dünner Schwanz hing, etwa wie bei einem noch nicht ausgewachsenen Krokodil. Breitbeinig stellte sich das eigenartige Wesen vor Lukas und Jim hin, stemmte die Ärmchen in die Seite und kreischte, so wild es nur konnte:
»Ich bin ein Drache! Puh!«
»Das freut mich«, sagte Lukas, »ich bin Lukas der Lokomotivführer.«
»Und ich bin Jim Knopf«, fügte Jim hinzu.
Der Drache schaute die beiden Freunde verdutzt aus seinen runden Augen an und fragte dann mit einer quiekenden Ferkelstimme:
»Ja, habt ihr denn gar keine Angst vor mir?«
»Nein«, antwortete Lukas, »warum sollten wir denn?«
Da fing der Drache fürchterlich zu weinen an, und dicke Tränen rollten aus seinen hervorstehenden Augen.
»Hu hu hu!« heulte das kleine Ungeheuer. »Das hat mir gerade noch gefehlt. Nicht mal Menschen halten mich für einen richtigen Drachen! Das ist ein Unglückstag heute! Hu hu huuuuuuuu!«
»Aber natürlich finden wir, daß du ein richtiger Drache bist«, sagte Lukas begütigend. »Wenn wir überhaupt vor irgendwas in der Welt Angst hätten, dann wärst du es. Nicht wahr, Jim?«
Dabei zwinkerte er seinem Freund zu. »Natürlich«, bestätigte Jim. »Aber wir sind zufällig Leute, die niemals Angst haben. Sonst hätten wir schon welche vor dir, und nicht zu wenig!«
»Ach«, jammerte der Drache und schluckte bekümmert, »ihr wollt mich nur trösten.«
»Nein, wirklich!« versicherte Lukas. »Du siehst doch sehr schrecklich aus.«
»Ja«, meinte Jim, »ganz scheußlich und furchtbar.«
»Wirklich?« fragte der Drache ungläubig, und sein dickes Gesicht begann vor Vergnügen zu strahlen.
»Ganz bestimmt«, sagte Jim. »Findet denn jemand, daß du kein richtiger Drache bist?«
»Ja, huuuuuhuhuuuuuuuuu!« antwortete der Drache und fing aufs neue bitterlich zu schluchzen an. »Die reinrassigen Drachen lassen mich nicht in die Drachenstadt hinein. Sie behaupten, ich wäre bloß ein Halbdrache. Nur weil meine Mutter ein Nilpferd war! Aber mein Vater war ein richtiger Drache.«
Lukas und Jim wechselten einen bedeutungsvollen Blick, der soviel hieß wie: Aha! Denn dieser Halbdrache konnte ihnen sicher verraten, wie sie weiterfahren mußten.
»Bist du deshalb so unglücklich?« fragte Lukas. »Ach nein«, schnüffelte der Halbdrache, »aber heute ist ein richtiger Unglückstag für mich. Mein Vulkan ist ausgegangen, und ich bring’ und bring’ ihn nicht wieder zum Brennen. Ich hab’ schon alles versucht, aber es hilft nichts.« »Na, dann laß uns doch mal nachsehen!« bot Lukas an. »Wir sind Lokomotivführer und verstehen uns auf Sachen, die mit Feuer zusammenhängen.«
Der Halbdrache wischte sich sofort die Tränen ab und machte runde Augen.
»Ach, das wäre aber wunderbar!« quiekte er. »Da wäre ich furchtbar dankbar. Es ist nämlich eine riesige Schande für unsereins, wenn einem der Vulkan ausgeht.«
»Ich verstehe«, sagte Lukas.
»Übrigens«, fuhr der Halbdrache eifrig fort, »ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Nepomuk.«
»Das ist ein hübscher Name«, sagte Lukas.
»Aber das ist doch ein Menschenname«, warf Jim ein. »Paßt der denn für einen Drachen?«
»Meine Mutter, das Nilpferd«, antwortete Nepomuk, »hat mich so getauft. Sie wohnte in einem Zoo und verkehrte viel mit Menschen. Daher kommt das. Drachen heißen meistens anders.«
»Ach so!« sagte Jim.
Dann stiegen sie nacheinander durch den Krater in den Vulkan hinein. Als sie unten waren, zündete Lukas ein Streichholz an und schaute sich um. Sie standen in einer geräumigen Höhle. Die eine Hälfte wurde von einem riesigen Kohlenberg ausgefüllt, auf der anderen Seite stand ein großer, offener Herd. Über dem Herd hing an einer Kette ein gewaltiger Kessel. Alles war rußgeschwärzt, und es stank atemberaubend nach Schwefel und allem möglichen anderen Zeug.
»Hübsch hast du’s hier, Nepomuk«, sagte Lukas höflich und blickte dabei nachdenklich auf den Kohlenhaufen.
»Aber du hast ja gar kein Bett!« meinte Jim verwundert.
»Ach, wißt ihr«, sagte Nepomuk, der Halbdrache, »ich schlaf am liebsten auf den Kohlen. Das macht so angenehm schmutzig, und man muß sich nicht jeden Morgen erst extra vollschmieren.«
Bei Drachen ist es nämlich umgekehrt wie bei Menschen. Menschen waschen sich morgens und abends, damit sie immer
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