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Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Titel: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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Stulpenstiefel. Und in seinem Gürtel steckten viele Dolche und Messer und Pistolen. Unter seiner großen Hakennase hing ein langer schwarzer Schnurrbart, der bis auf den Gürtel herunter reichte. Er hatte auch große goldene Ohrringe, und seine Augen waren klein und standen so eng beieinander, daß es aussah, als ob er immer schielen würde.
    Als er mich sah, rief er: ›Ha, ein kleines Mädchen! Das ist ein prächtiger Fang!‹
    Er hatte eine ganz rauhe, tiefe Stimme, und ich wollte schnell davonrennen, aber er packte mich an meinen Zöpfen und lachte. Dabei sah man seine Zähne, die groß und gelb waren wie bei einem Pferd. Er sagte: ›Du kommst uns gerade recht, du kleine Kröte!‹ Ich schrie und wehrte mich, aber jetzt war natürlich niemand da, der mir helfen konnte. Der große Mann hob mich hoch und warf mich - hopp! - auf das Schiff hinauf. Während ich durch die Luft flog, dachte ich noch: ›Wenn ich doch nur nicht …‹ und wollte eigentlich fertig denken:
    ›weggelaufen wäre!‹ Aber dazu kam ich nicht mehr, weil ich nämlich im selben Moment oben auf dem Schiffsdeck von einem anderen Mann aufgefangen wurde, der dem vorigen so ganz und gar bis aufs letzte Haar gleich sah, daß ich im ersten Augenblick meinte, es wäre derselbe. Aber das war ja nicht gut möglich. Als ich nun auf die Planken des Verdecks niedergestellt wurde und mich umschauen konnte, sah ich, daß auf dem Schiff noch eine ganze Menge Männer waren, die alle einander so zum Verwechseln ähnlich sahen wie ein Ei dem anderen. Zuerst steckten mich die Seeräuber in einen Käfig. Es war so eine Art großes Vogelbauer, das an einem dicken Haken am Mastbaum aufgehängt war. Jetzt war auf einmal mein ganzer Mut von vorher verschwunden, und ich weinte so, daß meine Spielschürze ganz naß wurde, und ich bat die Männer, mich doch wieder frei zu lassen. Aber die Kerle kümmerten sich überhaupt nicht mehr um mich. Das Schiff segelte in Windeseile davon, und bald war die Küste verschwunden und weit und breit nur noch Wasser.
    So verging der erste Tag. Am Abend kam einer der Burschen und steckte mir ein paar Scheiben trockenes Brot zwischen die Gitterstäbe. Auch einen kleinen Krug mit Trinkwasser schob er in meinen Käfig. Aber ich hatte keinen Hunger und rührte das Brot nicht an. Nur von dem Wasser nippte ich ein wenig, denn von der heißen Sonne und dem vielen Weinen war ich sehr durstig geworden.
    Als es dunkel zu werden anfing, zündeten die Seeräuber einige Laternen an, dann rollten sie ein großes Faß in die Mitte des Verdecks und setzten sich im Kreis darum herum. Jeder hatte einen großen Humpen und füllte ihn an dem Faß, und dann fingen sie an zu trinken und mit gröhlender Stimme wüste Lieder zu singen. Eines davon habe ich sogar behalten, weil si e es immer und immer wieder sangen. Wahrscheinlich war es ihr Lieblingslied. Es ging so:
›Dreizehn Mann saßen auf einem Sarg,
    Ho! Ho! Ho! - und ein Faß voller Rum.
    Sie soffen drei Tage, der Schnaps war stark,
    Ho! Ho! Ho! - und ein Faß voller Rum.
    Sie liebten das Meer und den Schnaps und das Gold.
    Ho! Ho! Ho! - und ein Faß voller Rum.
    Bis einst alle dreizehn der Teufel holt
    Ho! Ho! Ho! - und ein Faß voller Rum.‹
    Übrigens versuchte ich die Männer zu zählen, aber das war schwierig wegen des flackernden Lichts und weil sie einander so ähnlich waren. Ich glaube aber, es waren tatsächlich dreizehn, wie sie in ihrem Lied gesungen hatten. Plötzlich verstand ich auch, warum sie eine 13 auf ihre Segel gemalt hatten.«
    Hier unterbrach Jim die Erzählung der kleinen Prinzessin und bemerkte: »Und ich verstehe jetzt, warum der Absender auf meinem Paket eine 13 war.«
    »Welcher Absender auf was für einem Paket?« frage Li Si. »Du hast schon bei deiner Verhandlung mit dem Drachen so etwas erwähnt, und ich wollte es dich schon längst fragen.«
    »Wenn ihr nichts dagegen habt«, mischte sich jetzt Lukas ins Gespräch, »dann soll jetzt erst mal Li Si ihre Geschichte zu Ende erzählen, damit alles hübsch der Reihe nach geht. Nachher erzählt dann Jim, was ihm passiert ist. Sonst gibt’s nur ein Durcheinander.«
    Das sahen alle ein, und Li Si fuhr in ihrer Erzählung fort:
    »Wie die Seeräuber so beisammen saßen und tranken, konnte ich übrigens merken, daß sie sich sogar untereinander dauernd verwechselten.
    Das schien sie allerdings nicht weiter zu stören. Offenbar wußte keiner von ihnen genau, wie er eigentlich hieß und ob er nun der eine war oder der andere. Es

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