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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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gesetzten Prinzipien war, und deren »Sündenfall« die bedingende Grundlage für alles erzählbare Geschehen schuf. Von Schöpfung kann hier wohl die Rede sein; denn bestand der Sündenfall nicht darin, daß die Seele, aus einer Art von melancholischer Sinnlichkeit, die bei einem der Hochwelt angehörigen Ur-Prinzip überrascht und erschüttert, sich von der Begierde überwältigen ließ, die formlose und an ihrer Formlosigkeit sogar sehr zähe hängende Materie liebend zu durchdringen, um Formen aus ihr hervorzurufen, an denen sie körperliche Lüste gewinnen könnte? Und war es der Höchste nicht, der ihr bei ihrem weit über ihre Kräfte gehenden Liebesringen zu Hilfe kam und die erzählbare Welt des Geschehens, die Welt der Formen und des Todes schuf? Er tat das aus Mitgefühl für die Nöte seiner abwegigen Mitgegebenheit, – einem Verständnis, das auf eine gewisse konstitutionelle und gefühlsmäßige Verwandtschaft beider schließen läßt – und wo zu schließen ist, da muß man eben schließen, möge der Schluß auch kühn und selbst lästerlich anmuten, da im selben Zuge von Abwegigkeit die Rede ist.
    Ist die Idee der Abwegigkeit mit Ihm in Verbindung zu bringen? Nur ein schallendes Nein! kann die Antwort auf eine solche Frage sein, und es wäre die Antwort aller Chöre der Umgebung gewesen – gefolgt allerdings von einem diskreten Herunterziehen der Mündchen. Es ginge zweifellos zu weit und wäre voreilig, die barmherzig-schöpferisch nachhelfende Teilnahme an einer Abwegigkeit selber schon als Abwegigkeit zu deuten. Das wäre darum verfrüht, weil durch die Schöpfung der endlichen Lebens- und Todeswelt der Formen der Würde, Geistigkeit, Majestät, Absolutheit des vor- und außerweltlichen Gottes noch nicht der geringste, oder eben nur ein ganz geringer Abbruch geschah und also von Abwegigkeit im vollen und eigentlichen Sinn des Wortes bis hierhin nicht ernstlich gesprochen werden kann. Etwas anderes war es mit den Ideen, Plänen, Wünschen, die jetzt , nur erratbarer Weise, in der Luft lagen und den Gegenstand geheimer Zwiesprache mit Semael bildeten, wobei dieser sich wohl die Miene gab, als glaubte er, einen dem Throne ganz neuen Gedanken auf eigene Hand an diesen heranzutragen, während er vermutlich genau wußte, daß Man halb und halb und in der Stille schon mit demselben Gedanken umging. Offenbar rechnete er mit der Universalität des Irrtums, daß, wenn zwei auf denselben Gedanken verfallen, dieser Gedanke gut sein müsse.
    Es ist zwecklos, mit der Sache länger hinterm Berge zu halten und scheu darum herumzureden. Was der große Semael, eine Hand am Kinn, die andere perorierend gegen den Thron ausgestreckt, in Vorschlag brachte, war das Fleischwerden des Höchsten, seine Verleiblichung in einem noch nicht vorhandenen, aber heranzubildenden Wahlvolk nach dem Muster der anderen magisch-mächtigen und fleischlich-lebensvollen Volks- und Stammesgottheiten dieser Erde. Nicht zufällig fällt hier das Wort »lebensvoll« ein; denn das Hauptargument des Pfuhles war, ganz wie seinerzeit beim Vorschlag der Menschenschöpfung, der Zuwachs an Lebendigkeit, den der geistige, außer- und überweltliche Gott durch die Befolgung des Ratschlags erfahren werde – nur in einem viel drastischeren und eben fleischlicheren Sinn. Es heißt hier: das Haupt-Argument; denn der kluge Pfuhl hatte ihrer mehr, und mit mehr oder weniger Recht nahm er an, daß sie alle dort, wo er sie vorbrachte, ohnedies schon heimlich wirksam waren und nur der Befeuerung bedurften.
    Der Gemütsbereich, an den sie sich wandten, war der Ehrgeiz, – der notwendig ein Ehrgeiz der Herabsetzung, ein niederwärts gerichteter Ehrgeiz war; denn im Obersten Falle, wo jeder Ehrgeiz nach oben undenkbar ist, bleibt nur ein solcher nach unten übrig: ein Ehrgeiz der Angleichung und des Auch-sein-wollens-was-die-anderen-sind, ein Ehrgeiz nach Aufgabe der Außerordentlichkeit. Hier war es dem Pfuhle ein Leichtes, an ein gewisses Fadheitsgefühl beschämender Abstraktheit und Allgemeinheit zu appellieren, das dem Selbstvergleich des geistig-überweltlichen Weltgottes mit der magischen Sinnlichkeit der Volks- und Stammesgötter unvermeidlich anhängen mußte und eben den Ehrgeiz nach kräftiger Herabsetzung und Beschränkung, nach einer sinnlicheren Würze Seiner Lebensform erweckte. Die etwas dünnlebige Erhabenheit geistiger Allgültigkeit hinzugeben für die blutvoll-fleischliche Existenz als göttlicher Volksleib und zu sein, was die anderen

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