Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Kichern? Genau das Geschöpf, welches, wenn man wollte, dem Schöpfer am allerähnlichsten war, brachte das Böse mit sich. Gott schuf sich darin, auf Semaels Rat, einen Spiegel, der nicht schmeichelhaft war, nichts weniger als das, und den Er dann auch mehrfach vor Ärger und Verlegenheit kurz und klein zu schlagen sich angeschickt hatte, ohne doch dabei bis zum Letzten zu gehen, – vielleicht, weil Er es nicht über sich gewann, das einmal Aufgerufene wieder ins Nichtsein zu senken, und an dem Verfehlten mehr hing, als an dem Gelungenen; vielleicht auch, weil Er nicht zugeben wollte, daß etwas endgültig verfehlt sein könne, was Er so weitgehend nach dem eigenen Gleichnis geschaffen; vielleicht endlich, weil ein Spiegel ein Mittel zur Selbsterkenntnis ist und weil Ihm in einem Menschensohn, einem gewissen Abiram oder Abraham, das Bewußtsein jenes zweideutigen Geschöpfes entgegenkommen sollte, ein Mittel zur Selbsterkenntnis Gottes zu sein.
Demnach war der Mensch das Produkt von Gottes Neugier nach Sich selbst, – die Semael klug bei ihm vorausgesetzt und die er mit seinem Ratschlag ausgenutzt hatte. Ärger und Verlegenheit waren die notwendige und dauernde Folge gewesen, – besonders in den garnicht seltenen Fällen, wo das Böse mit kecker Intelligenz und logischer Streitbarkeit verbunden war, wie schon bei Kajin, dem Gründer des Brudermordes, dessen Gespräch mit dem Schöpfer nach der Tat in den Zirkeln ziemlich genau bekannt war und viel kolportiert wurde. Man hatte nicht gerade sehr würdevoll abgeschnitten bei dem Eva-Sohn mit Seiner Frage: »Was hast Du getan? Die Stimme Deines Bruders schreit zu mir von der Erde, die ihr Maul aufgetan hat, sein Blut zu nehmen von Deiner Hand.« Denn Kain hatte geantwortet: »Allerdings habe ich meinen Bruder erschlagen, es ist traurig genug. Wer aber hat mich geschaffen wie ich bin, eifersüchtig bis zu dem Grade, daß sich gegebenen Falles meine Gebärde verstellt und ich nicht mehr weiß, was ich tue? Bist Du etwa kein eifersüchtiger Gott, und hast Du mich nicht nach Deinem Bilde erschaffen? Wer hat den bösen Trieb in mich gelegt zu der Tat, die ich unleugbar getan? Du sagst, daß Du allein trägst die ganze Welt, und willst unsere Sünde nicht tragen?« – Garnicht schlecht. Genau als ob Kain oder Kajin sich vorher von Semael hätte beraten lassen, was aber der hitzige Schlaukopf vielleicht nicht einmal nötig gehabt hatte. Erwiderung wäre schwierig gewesen, und nur Zerschmetterung oder ärgerliche Heiterkeit war übriggeblieben. »Lauf!« hatte es geheißen. »Gehe Deiner Wege! Unstet und flüchtig sollst Du sein, aber ich will Dir ein Zeichen machen, daß Du mir gehörst und niemand Dich erschlagen darf.« – Kurzum, Kajin war mehr als glimpflich davon gekommen dank seiner Logik; es hatte von Strafe überhaupt nicht die Rede sein können. Selbst mit der Unstetheit und Flüchtigkeit war es nicht ernst gewesen, denn Kain hatte ja im Lande Nod gesiedelt, östlich noch über Eden hinaus, und in aller Ruhe seine Kinder gezeugt, wozu man ihn ja auch dringend nötig gehabt hatte.
Andere Male, bekanntlich, war gestraft und in majestätischem Kummer über das bloßstellende Benehmen des »ähnlichsten« Geschöpfes fürchterlich eingeschritten worden – wie ja auch belohnt worden war, fürchterlich belohnt, will sagen: übertrieben, ausschweifend und zügellos belohnt – man brauchte nur an Henoch oder Hanok zu denken und die unglaublichen, man mußte hinter der Hand schon sagen: unbeherrschten Belohnungen, die dem Burschen zuteil geworden waren. In den Kreisen herrschte die natürlich mit größter Vorsicht ausgetauschte Meinung vor, daß in Ansehung von Lohn und Strafe dort unten nicht alles mit den rechtesten Dingen zuging, und daß die auf Semaels Rat gestiftete moralische Welt nicht mit dem nötigen Ernst gehandhabt wurde. Es fehlte nicht viel, es fehlte zuweilen überhaupt nichts, daß man in den Kreisen geurteilt hätte, Semael meine es mit der moralischen Welt viel ernster als Er.
Es war nicht zu verbergen, wenn es auch verborgen und verschleiert werden sollte, daß die Belohnungen, unverhältnismäßig wie sie in manchem Falle waren, als moralische Einkleidungen und Vorwände für Segnungen dienten, die sich in Wahrheit aus primärer Gunst, Prädilektion erklärten und mit der moralischen Welt kaum etwas zu tun hatten. Und die Strafen? – Hier nun, zum Beispiel, in Ägyptenland, wurde gestraft und eingeebnet, – scheinbar ungern und kummervoll,
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