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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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unterirdische Schafstall, Aralla, das Reich der Toten. Durch die Brunnengrube war er ins Unterland, ins Land der Todesstarre gelangt; nun ging es auch dort noch wieder ins bôr und ins Gefängnis hinab nach Unter-Ägypten, – tiefer konnt’ es nicht gehen. Tage des Dunkelmonds kamen wieder, Groß-Tage, die Jahre sein würden, und während derer die Unterwelt Macht hatte über den Schönen. Er nahm ab und starb; nach dreien Tagen aber würde er wieder emporwachsen. In den Brunnen des Abgrunds hinab sank Attar-Tammuz als Abendstern; aber als Morgenstern, das war gewiß, würde er wieder daraus erstehen. Man nennt das Hoffnung, und die ist ein süßes Geschenk. Und doch hat sie auch wieder etwas Verbotenes, weil sie die Würde des heiligen Augenblicks schmälert und Feststunden des Umlaufs vorwegnimmt, die noch nicht da sind. Ihre Ehre hat jede Stunde, und der lebt nicht recht, der nicht verzweifeln kann. Joseph war dieser Anschauung. Seine Hoffnung war sogar gewissestes Wissen; aber er war ein Kind des Augenblicks, und er weinte.
    Er kannte seine Tränen. Gilgamesch hatte sie geweint, als er Jschtars Verlangen verschmäht und sie ihm »Weinen bereitet« hatte. Er war recht erschöpft von der Not, durch die er gegangen, durch die Bedrängnis durch das Weib, die schwere Krisis, in der sie gegipfelt, den alles verändernden Lebensumsturz, und während der ersten Tage ging er den Cha’ma’t garnicht um die Erlaubnis an, auf Deck im bunten Reisetrubel der Verkehrsstraße Ägyptens zu spazieren, sondern lag für sich im Gehäuse auf seiner Matte und verband träumerische Gedanken. Er träumte Tafelverse:
    Jschtar, die Rasende, schwang sich zu Anu, dem Götterkönig, forderte Rache. »Den Himmelstier sollst Du schaffen, zerstampfen soll er die Welt, versengen mit dem Feuerhauch seiner Nüstern die Erde, ausdörren und verderben die Flur!«
    »Den Himmelstier will ich schaffen, Herrin Aschirta, denn schwer bist Du beleidigt. Aber Spreujahre werden kommen, sieben an der Zahl, Jahre der Hungersnot dank seinem Stampfen und Sengen. Hast Du für richtige Nahrung gesorgt, aufgehäuft Speise, den Jahren des Mangels damit zu begegnen?«
    »Vorgesorgt hab’ ich für Nahrung, aufgehäuft Speise.«
    »So will ich schaffen und schicken den Himmelstier, denn schwer bist Du beleidigt, Herrin Aschirta!« –
    Sonderbares Gebaren! Wenn Aschera die Erde verderben wollte, um Gilgameschs Sprödigkeit willen, und auf den dörrenden Himmelstier brannte, so hatte es wenig Sinn, Nahrung aufzuhäufen, um den sieben Spreujahren, welche sein Werk sein würden, damit vorzubauen. Genug aber, daß sie’s getan und die Frage bejaht hatte, denn auf den Rachestier brannte sie nun einmal; und was Joseph an dem Ganzen gefiel und was ihn beschäftigte, war eben die Vorsorge, welcher die Göttin auch in der Wut noch hatte Rechnung tragen müssen, wenn sie ihren Feuerstier haben wollte. Vorsorge, Vorsicht war eine dem Träumer vertraute und ihm immerdar wichtige Idee, – mochte er sich kindisch auch oft an ihr versündigt haben. Es war zudem beinahe der herrschende Gedanke des Landes, in dem er gewachsen war wie an einer Quelle, Ägyptenlandes, das ein ängstlich Land war, unaufhörlich im Großen und Kleinen bedacht, all seine Schritte und jegliches Tun mit Zauberzeichen und -spruch lückenlos zu sichern gegen lauerndes Übel; und da er nun so lange schon ein Ägypter war und sein Fleisch und Leibrock schon nur noch aus ägyptischem Stoffe bestand, so hatte die Landesidee der Vorsicht und Vorsorge sich tief in seine Seele gesenkt, wo sie aber auf andere Weise schon immer zu Hause gewesen war. Auch in seiner ursprünglich-eigenen Überlieferung hatte sie lange Wurzeln, – wie denn Sünde nahezu eines Sinnes war mit versäumter Vorsicht: Narrheit war sie und lachhaftes Ungeschick in der Behandlung Gottes; Weisheit dagegen, das war Voraussicht und sichernde Vorsorge. Noah-Utnapischtim, hieß er nicht darum der Erzgescheite, weil er die Flut hatte kommen sehen und ihr vorgebeugt, nämlich den Kasten gebaut hatte? Die Arche, die große Lade, der Arôn, worin die Schöpfung die Fluchzeit überstanden, dem Joseph war sie das Frühbeispiel und Ur-Muster aller Weisheit, das ist: aller wissenden Vorsorge. So aber kamen über Jschtars Erbitterung, über das sengende Trampeltier und die Speise-Aufhäufung, mit der man dem Mangel vorgebaut, seine Gedanken in notwendigem Parallelismus zu oberen Gedankengängen auf die große Flut, und auch der kleinen gedachte er mit

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