Jud Sueß
er, »daß das Kind im Zeichen der Gerechtigkeit geboren wird.« Aber sie schaute voll Haß auf den hageren, unscheinbaren Mann und betete unhörbar, ohne Reim und Schnörkelei, dringlich und stark: »Herrgott im Himmel! Laß es nicht werden wie der da! Herrgott im Himmel! Du hast mir soviel verhunzt. Das gib mir, das wenigstens gib mir, daß mein Kind nicht werde wie der da!«
Süß wurde inzwischen auf das Rathaus gebracht. Der große Saal war gestopft mit Zuschauern, das Richterkollegium war versammelt, feierlich in schwarzen Mänteln. Der Jude sah das jovial brutale, massige Gesicht des Gaisberg, das feine, höhnische, hakennasige des Schütz, das harte, grausame, hagere des Pflug, das des jungen Götz sogar, sonst leer, fad, rosig, schien belebt von Haß, Rache, Triumph. Da erkannte er, daß er nicht zur Freiheit, sondern zum Tod bestimmt war. Und da begann auch schon der Präsident, der Geheimrat Gaisberg, mit seiner harten, dröhnenden, ungefügen Stimme, stark schwäbelnd, das Urteil zu verlesen. Süß hörte in monotonem Wechsel Landschaden, Plünderung, Beraubung, Hochverrat, Majestätsverbrechen, Staatsverbrechen und den Schluß, daß er mit dem Strang vom Leben zum Tod solle hingerichtet werden. Er sah in dem überheizten Saal die dichtgedrängte Menge, die großen Herren alle, die Minister, Parlamentarier, Generäle, dünstend, schwitzend, voll Hochgefühl. Er sah die kleinen, eklen Tiere, da das große sich hingestreckt hatte in freiwilliger Wehrlosigkeit, darüber herfallen, sich festbeißen, geschäftig übereinanderwimmeln, daß ja einjeder noch sinnlos die Zähne hineinschlage in die verendende Masse Lebens. Da war plötzlich wieder in ihm der frühere Süß. Er bäumte hoch, er begann zu reden, der alte, verfallene Mann, überdeckt mit dem Blut und dem Kot der Mißhandlungen, richtete sich hoch, erwiderte seinen Richtern. Kratzte, eiskalt sachlich, schneidend, dem Urteil die pathetische Tünche herunter. Lautlos hörte man seine ersten Sätze an. Dann aber, rot angelaufen über solche Frechheit, stürzten sich, nicht anders als das Volk, die vornehmen Herren auf ihn, brüllend, mit den flachen Degen auf ihn einschlagend, und wie dem Volk konnte die Eskorte auch ihnen nur mit Mühe den Delinquenten entreißen. Wie er abgeführt wurde, über den tosenden Saal hin, packten ihn die harten, höhnischen Worte des Geheimrats Pflug im Nacken: »Er hat gesagt, Jud, höher als der Galgen ist, könnten wir Ihn nicht hängen. Wir werden’s Ihm weisen.«
Mit Eilwagen fuhren von Hamburg her Rabbi Gabriel Oppenheimer van Straaten und Rabbi Jonathan Eybeschütz. Die beiden Männer sprachen auf der langen Fahrt nur das Nötigste. Sie sahen die schaukelnden Schenkel der Pferde, oft gewechselt, braune, schwarze, weiße; sie sahen das vorübergleitende Land, flaches Feld, Berg, Wald, Fluß, Weinhügel. Aber nur ihre Augen waren darauf, nicht ihr Sinn. Meilenstein um Meilenstein tauchte auf, verschwand. Sie sahen nur das Antlitz, dem sie zustrebten, daß sie es erreichten, ehe es verlösche.
Rabbi Gabriel saß wie immer massigen, mißlaunigen Gesichts, den dicklichen Leib in großbürgerlichen, etwas altmodischen Kleidern. Rabbi Jonathan, in seidigem Kaftan, mild leuchtend aus dem weißen, milchig fließenden Bart das listige, nicht alte Antlitz, war nach lüstern weltlichen Wochen wieder zurückgetaucht in Versunkenheit, Erkenntnis, Gott. Die letzte Zeit und Wandlung des Süß zog ihn mit grausamer Lockung an. Es war nicht das Schauspiel dieses Untergangs. Er und Rabbi Gabriel, ohne daß sie darüber gesprochen hätten, wußten, spürten die merkwürdige Verquickung vonFreiwilligkeit und Zwang in diesem Ende. Die Entsprechung, das heimliche Band, der Fluß von jenem zu ihnen hatte nun auch den Rabbi Jonathan ergriffen, hob ihn, senkte ihn. Er stak in jenem, eine stärkste Wurzel von ihm starb in jenem. So fuhren die beiden Männer, gradaus das Aug, dem Tode des Josef Süß zu, wolkig schwer brütete um sie die Erkenntnis ihrer Bindung.
Auch auf anderen Straßen zog es nach Stuttgart, zu Süß, um Süß. Mit viel Wache und Bedeckung kam der Hoffaktor Isaak Simon Landauer; er hatte, trotzdem er sehr schlicht zu reisen pflegte, mit sich drei jüdische Kassiere und außer der gemieteten Polizeiwache ein paar sehr kräftige, verlässige Burschen. Es kamen der kleine, welke Jaakob Josua Falk, Rabbiner von Frankfurt, und der dicke, hitzige Rabbiner von Fürth. Die drei Männer trafen in der Nähe von Stuttgart zusammen,
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