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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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entferntesten für möglich, man werde ihm gegen den klaren Buchstaben des Rechts ans Leben gehen. Gutmütig scherzend und in schwerloser Laune sagte er, er freue sich des schönen Wetters für die Fahrt, fragte den Kommandanten, ob er ihm, der ein großer Schnupfer war, eine Tabaksdose zum Andenken übersenden dürfe. Gemessen lehnte der Major ab; doch gestattete er, das harte Gesicht kaum vor dem Grinsen wahrend, daß Süß einen Galarock für die Fahrt anlege. Auch vor dem Wärter erging sich Süß in leichten, schwingenden Worten über Rückkehr und Freiheit und gab dem erstaunten Mann, der nicht wußte, was tun, eine Anweisung auf eine ansehnliche Summe als Trinkgeld.
    Wie er sich des Abends auf seine Pritsche legte, fand er sich ganz entlastet und selig. Er wird jetzt irgendwohin ins Ausland gehen, an einen See oder ans Meer, in ein winziges, stilles Nest und ganz klein und mild leuchtend vor sich hin leben. Ein paar Bücher oder auch keine. Und bald wird er leicht und leise verklingen und unter den Menschen wird nur ein dummer, lauter Hall bleiben von seinem Leben und von seinem Gewese und der wird im Guten und im Bösen ganz anders sein und sehr verzerrt; bald aber wird auch sein Name gar nichts mehr bedeuten, wird nichts sein als etliche Buchstaben ohne Sinn; schließlich werden auch die verklungen und es wird große, reine Stille sein und nur mehr ein Schweben und sachtes Leuchten in der Oberen Welt.
    Anderen Morgens, es war ein frostklarer, weißer, sonniger Tag, fuhr Süß bei guter Zeit. Trotz der Kälte im offenen Wagen. Er hockte schwach und froh im Fond, ein Wärter neben ihm, einer ihm gegenüber. Starke Wache auch zu beiden Seiten, vor, hinter dem Wagen. Er wollte erst mit seinen Begleitern sprechen, aber die hatten strenge Weisung, nicht zu erwidern. Ihngrämte es nicht. Er lehnte zurück, atmete, kostete, schluckte, sah, tastete nach den vielen dumpfen Monaten die reine, freie, beglückende Gottesluft. Blick, nicht an Mauer stoßend, wie köstlich! Bäume, sanfter, herrlich reiner Schnee darauf. Weites, weißes Feld, weich und zärtlich in den Himmel mündend. Weite Welt, feine, herrliche, reine, weite Welt! Luft! Freie, liebe Luft! Sie griff ihn an, den Eingesperrten, Entwöhnten, er lehnte ganz schlaff und schwach und erschöpft; aber er war selig. Er hatte den roten, goldbestickten Taffetrock mit dem zottigen Samtfutter aufgeschlagen, selbst das grüne, goldbordierte Kamisol der Luft geöffnet. Die Beine in den braunen Beinkleidern zitterten und waren sehr matt. Den Samthut und die auf dem schlecht gepflegten Haar übelsitzende Perücke hatte er abgenommen, er ließ wohlig den Luftzug der raschen Fahrt durch das weiße Haar streichen.
    Aber in Stuttgart am Tor stand dick der Pöbel, wartete. Schrie, johlte, als die Kutsche kam, schmiß Steine, Kot. Stürzte sich auf den Juden, riß ihn heraus, stauchte ihn hin und her, zerrte ihn an dem weißen Bart. Hob Kinder hoch: »Lugt her! Da ist er, der Schinder, Judas, Mörder, Saujud!« Spuckte, trat. Zerrissen der feine, rote Rock, in Kot getreten der artige Samthut. Die aus dem »Blauen Bock« sagten in wehmütiger, sentimentaler Genugtuung: »Das hätte der selige Konditor Benz noch erleben sollen.« Nur mit Mühe gelang es der Eskorte, den Juden herauszuhauen. Mit fliegender Brust saß er jetzt im Wagen, das graue Gesicht zerschrundet, Rinnsel von Speichel und Blut langsam in den zerrauften Bart rinnend, Soldaten um ihn, drohend gegen die Menge, die Hand an der Waffe.
    Das Geschrei und Gejohle drang auch in das große Zimmer, in dem Magdalen Sibylle lag, ein Kind des Immanuel Rieger gebärend. Der Expeditionsrat hätte gern gehabt, daß sie das Kind auf dem Land, auf ihrer schönen Besitzung Würtigheim, zur Welt bringe; aber da sie aus unerklärlichen Gründen durchaus in der Stadt bleiben wollte, fügte er sich. Da lag sie nun in Wehen, eine geschwätzige, betuliche Hebammewatschelte geschäftig herum, der Expeditionsrat ging blaß, dienstwillig, demütig und schwitzend ab und zu. Trotzdem sie breit schien und gebärtüchtig, war die Entbindung nicht so leicht, wie man gehofft hatte. Sie lag, schrie, stemmte sich, preßte, keuchte. Jetzt war eine Minute der Erleichterung gekommen, zurückgesunken, fahl, schweißüberdeckt bebte sie, immer wieder überschauert. In die Stille klang das Johlen der Volksmenge herein, ganz deutlich hörte man den Gassenhauer: »Der Jud muß hängen!« Der Expeditionsrat rieb sich die Hände. »Ein gutes Omen«, sagte

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