Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
saß er oft mit Opa Zöller auf den Stufen vorm Haus. Wenn der Opa nicht in seinem Stuhl saß und Pfeife raucht, dann, doch, dann konnte man schon mal Autos zählen. „Hör mal, da kommt wieder einer …“ „Jaja“ Zehn Minuten später rauschte der VW vorbei oder die Isetta, das Goggomobil oder eben der Kabinenroller. Das war der Hillscheider Sommer. Autos zählen bis neun Uhr abends. Grandios, nein wirklich. Ohne Blödsinn. Jürgen liebte es.
Engelbert, der Opa in Köln, hatte nicht so viel Sitzfleisch. Der trieb den Jungen jeden Sonntag pünktlich aus dem Haus, wenn die Kirchenglocken schon angefangen hatten zu läuten. Aber Engelbert wollte nicht in die Kirche. „So, das bleibt aber unter uns“, sagte er immer wieder und steuerte zielsicher die Kölschkneipe an. Obwohl Jürgen zu dieser Zeit durchaus mit der Kirche konnte, hatte er dagegen wenig aufzubieten. Er nutzte die Zeit von Opas Kölschmesse zum Besuch sämtlicher Kneipen auf der Venloer Straße, um sich mit Bierdeckeln aller einschlägigen Brauereien einzudeckeln, und dann mit dem fröhlich gestimmten Opa „Engel“ wieder in die Vitalisstraße zu Omas Standpauke mit anschließendem Mittagessen zu gehen.
Zuhause in Hillscheid ging Jürgen gerne in die Kirche, neben und hinter der sich der große Friedhof steil den Berg hochzieht. Die Kirche blickt von einem Hügel ins Tal runter: majestätisch, aber nicht furchteinflößend. Schaut man nach Rechts, sieht man die Schule. Hässlich, ein grober Klotz. Die Kirche war ein angenehmer Ort, damals. Jürgen war sogar mit Freude und Eifer als Messdiener dabei und läutete erbarmungslos die Glocken, selbst, als er einmal nicht sollte. Klar, dass ihn der Pfarrer fand, als er etwas verloren am Glockenstrang baumelte. Aber jetzt gab es Kölsch statt Kirche, hier in Bickendorf. Ob es ihm schmeckte, mit acht oder neun, damals? „Es geht so“, dachte er bei sich und Opa Engelbert wollte es auch nicht wirklich wissen.
Es gab noch mehr Spannendes zu erleben in Köln: Die Oma arbeitete als Putzfrau beim WDR und nahm ihn mit ins Funkhaus, wo sie einmal sogar Werner Höfer, den Herrn des „Internationalen Frühschoppens“ auf dem Flur trafen. Was will man mehr? Doch es gab noch mehr. Jürgen flitzte täglich, wenn er bei Engelbert und Maria war, aus der Tür. Zack um die Ecke, die Straße runter, da war der Milchladen von Billa. „N’ Kakaüchen?“ fragte Billa jedes Mal. Jürgen wollte immer Kakaüchen. Diese kleinen Milchfläschchen, oben mit Stanniol verschlossen, innen drin immer eisgekühlter Kakao. Die waren der Hit. In dem Laden ließ es sich aushalten. Gucken, reden. Bis Billas Gatte hereinschaute mit der Frage: „Willste mal mitkommen Milch ausfahr’n?“ Na klar. Oben auf dem Bock der Pferdekutsche sitzen und ab durchs Vogelsangviertel. Wieder zurück im Laden fragte Billa unvermittelt „Wat willste’ dann ens werden, wenn de jroos bess?“ Jürgen musste keine Sekunde überlegen. „Ich werd’ Musiker.“ Was war denn das jetzt? Er hatte es gehört, Billa hatte es gehört, er musste es also gesagt haben, obwohl er in dem Moment ganz sicher war, dass er das schwerwiegende Problem der Berufswahl bislang trotz des dicken Kopfes noch nicht auch nur ansatzweise angedacht hatte. Komisch. Er hörte noch, wie Billa furztrocken entgegnete: „So, du wirst mal Musiker? Na toll!“ Da war es dann wohl wieder, das Zappeln. Sagen wir mal 3,5 auf der nach oben offenen Zappel-Skala.
Heute ist ein paar Minuten Fußweg von dem Haus, in dem damals Engelbert und Maria wohnten, ein Tonstudio zu finden. Dort hat Jürgen viel später alle Platten aufgenommen, die er als Schlagzeuger von Wolf Maahns „Deserteuren“ eingespielt hat.
Hildegard Duck war eine von Gerdas Weinbrandschwestern der kombinierten Bügel-Radioabende. Ihr unterstand zudem ein Lebensmittelladen, in dem selbstredend die aktuellen Neuigkeiten des Tages ausgetauscht wurden. Ingrid, die neue 18jährige Verkäuferin, erzählte Jürgen eine brandheiße Geschichte, die er eigentlich nicht hören wollte: „Ich weiß was, was du noch gar nicht weißt“, begann sie geheimnisvoll wie alle Geschichten, die man eigentlich nicht hören will. Ach, komm schon, was soll die Geheimniskrämerei. „Na was?“ „Dein Vater ist gar nicht dein Vater.“ Das saß. Rudi ist nicht mein Vater. Kann ja jeder sagen, aber ein paar Tage später war Lärm bei Zöllers im Haus. Jürgen, der mit seinen jüngeren Brüdern oben in der Mansarde schlief, schreckte hoch. Im
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