Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
Miller oder Ray Conniff. Das wussten aber höchstens die Großen aus ihrem Radio. Jürgen brauchte das nicht zu wissen, er spürte es auch so. Er wurde einfach umgeblasen von diesem Sound. Es waren nicht nur die Bläser, da war ja auch wieder dieser Bass, der ihn immer näher zur Bühne saugte, den er schon aus den Likörradioabenden in Hillscheid kannte, aber hoppla: das hier war live und lauter. Das war jetzt aber mal wirklich Raumklang und Stereo und alles zusammen, und auch nicht kackgelbbraun bespannt, sondern glitzernd und strahlend. Jürgen bahnte sich seinen Weg. Gerda und Maria bleiben in der Menge zurück. Ihm fehlte nichts, Mutter und Großmutter schon. „Wo es dann dä Jürjen affjeblevve, leeven Jott?“ fragen sie sich gegenseitig. „Du hast ihn doch zuletzt …“ „Nää, du.“ Dem Jürgen ging es gut, sehr gut sogar. Die Bigband spielte „Charlie Brown“, den Hit der Coasters auf deutsch. „Charlie Brown, der ist ein Clown …“, das passte doch alles an diesem Abend. „Wat määt dä dann jetz?“ Maria traute ihren Augen nicht: Die Band spielte sich in Rage, aber jetzt stand auf einmal neben Freddy Brock, dem Trompeter, ein kleiner Kerl, der ihr doch sehr bekannt vorkam. Stand da und guckte. Nach oben. Die Nadel zitterte auf der nach oben offenen Zappel-Skala. Einerseits war Maria erleichtert, aber anderseits: „Dat kann dä doch nit maache, dä Jürjen …“ Sie besann sich ihrer großmütterlichen Pflichten, enterte gebieterisch die Bühne, stellte sich möglichst großmütterlich hin und schaute wartend, aber doch erwartungsvoll am blitzblanken Gebläse entlang: Junge, ich hol’ dich hier raus. Nix passierte. Das Gebläse blies, Jürgen stand und guckte. Max Greger bekam das alles mit, wartete bis zum letzten Ton ab und sprach dann kumpelhaft zur verdutzten Oma die erstaunlichen, verschwörerischen Worte: „Lass’n doch! Lass’n doch hier.“
„Hey Jürgen. Du kannst doch Englisch.“ Nicht der schon wieder. Erhard, der immer nervte. Einerseits. Jürgen war öfter auf dem Bolzplatz in Hillscheid, hing mit Kumpels rum oder schaute den lokalen Fußballgrößen wie Gerd Schwickert beim Kicken zu. Der hatte ja nun richtiges fußballerisches Talent, wurde später Profi, danach Trainer und Vereinsmanager bei diversen Bundesligaclubs. Erhard, der gehörte eigentlich nicht dazu, aber er hatte etwas, das Jürgen nicht hatte, andererseits. Eine eigene Frisur und eigene Klamotten, also die Schmalztolle von Elvis in der praktischen pappigen Brisk-Version, und seine Lederjacke auch gleich dazu, zumindest die Hillscheid-Version. Erhard war der Vorläufer des Rockers, Erhard war der Schrecken aller Mütter in Kittelschürzen, Erhard war ein Halbstarker. Nicht irgendeiner, sonder d e r Ortshalbstarke. The one and only Erhard Semmler. The one and only Elvis Presley-Fan in downtown Hillscheid. Aber kein Wort Englisch unter der Schmalztolle und doch soviel Verehrung für Elvis unter der schmucken Lederjacke. Ein fast tragischer Fall. „Also was ist jetzt, willst du mir helfen?“ bohrte Erhard. Jürgen fühlte sich geschmeichelt. Der will was von mir. Obwohl ich keine Schmalztolle, sondern eine Gerda-Zöller-Mittelschul-Frisur mit Tolle hab, obwohl ich von Kopf bis Fuß in feinste Zwangsklamotten von Witt-Weiden oder vom Schwab-Versand gekleidet bin, die Jahresration an Socken und Hosen, dazu Selbstgestricktes und Abgelegtes. Erhard reichte Jürgen mit großer Geste und doch etwas ängstlichem Blick einen Brief, adressiert an Mister Elvis Presley. Klar, wer sonst sollte der Empfänger sein. „Hier, jetzt sag doch mal, ich meine … also irgendwie muss ich anfangen. Lieber Elvis! Okay?“ „Okay“, sagte Jürgen möglichst lässig und möglichst amerikanisch. Da stand ja auch schon
Love Elvis …
Ja, super! Der Semmler schrieb jetzt also einen englischen Brief. „Stimmt das denn? Ist das richtiges Englisch? Du …“ „Na klar stimmt das – Love Elvis – Lieber Elvis“, brummelte Jürgen möglichst beiläufig und ein bisschen von oben herab. Er achtete auch sorgfältig darauf, in diesem Moment möglichst wenig nach Schwab-Versand auszusehen, und fand, dass ihm das ganz gut gelang. Hey, er war wichtig und fühlte sich auch so! Er war beteiligt an einem wichtigen Schriftstück an den ganz wichtigen Elvis Presley. Und er wusste es wirklich nicht besser. „Love Elvis“, Erhard zog zufrieden von hinnen, Jürgen vergewisserte sich rundumblickend auf dem Bolzplatz, ob denn auch jemand diese
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