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Juli, Die Viererkette

Juli, Die Viererkette

Titel: Juli, Die Viererkette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und versicherte: „Natürlich ist alles in Ordnung mit mir!“
    „Wirklich? Bist du dir sicher?“, fragte Marlon, und Leon schaute mich einfach nur an.
    „Na klar! Was soll denn schon sein! Los, ab nach Hause mit euch!“, lachte ich. „Morgen wird ein verflixt harter Tag. Oder glaubt ihr, dass Willi noch mal so nett zu uns ist? Es geht um die Meisterschaft!“
    Um Vanessas Mund herum zuckte ein Lächeln.
    „Genau!“, sagte sie.
    „Ja, und alles ist gut!“, gab ich ihr mit demselben Lächeln zurück.
    „Solange du wild bist!“, antwortete Marlon und ging mit Vanessa nach Haus.
    Nur Leon blieb noch zurück. Er musterte mich. Dann hob er die Hand zum High Five.
    „Juli, wir zählen auf dich!“, sagte er und schaute mir durch die Augen bis in meine Seele hinein.
    Ich nickte und nahm das High Five an. Um nichts in der Welt würde ich meine Freunde verraten.

Durch den Finsterwald und über die Steppe
    Davon war ich auch am nächsten Tag noch fest überzeugt. In der Schule war alles wie immer. Doch zu Hause, im Fasanengarten, rutschte ich schon beim Mittagessen nervös auf der Holzbank herum. Dann verzog ich mich in mein Zimmer. Ich brauchte eine Ewigkeit für die läppischen Matheaufgaben, und als mein kleiner Bruder Joschka zum dritten Mal aus der Küche rief: „Hey, wo bleibst du denn, Juli? Das Training fängt an, und zwar schon in zehn Minuten!“, da riss ich die Tür meines Zimmers auf. „Ja, und in einer Minute sind es noch neun. Verflixt! Du nervst, kapierst du das? Warum machst du nicht einfach ’ne Fliege? Ich bin alt genug, weißt du. Ich finde den Weg auch allein!“, bellte ich ihn an.
    Joschka schaute unsere Mutter überrascht an. Die zuckte die Schultern. Dann schaute er wieder zu mir: „Oh, Mann! Was du nicht sagst. Aber wenn du dich in dieser Laune vervierfachen solltest, wäre es besser, wenn du dich heute verläufst!“
    Damit packte er seinen Rucksack, sprang aus der Küche hinaus in den Garten und radelte auf und davon. Ich ging zurück in mein Zimmer und tat furchtbar beschäftigt. Doch in Wirklichkeit zählte ich nur bis hundert. Dann rannte ich so schnell aus meinem Zimmer, damit meiner Mutter nicht auffallen konnte, dass ich weder Fußballschuhe noch Rucksack mitnahm.
    Ich rannte und rannte und wählte die Straßen und Wege so aus, dass ich keinem meiner Freunde begegnete. Ich rannte und rannte und hielt erst vor der Ruine des alten Schlosstores an. Atemlos und mit klopfendem Herzen ging ich zum ersten Mal in meinem Leben durch das Gemäuer hindurch, ging langsam weiter und hielt dann ein zweites Mal an, als ich ans andere Ende des Finsterwalds kam.

    Vor mir lag die trostlose Steppe, aus der sich die Graffiti-Burgen erhoben. Noch stand ich versteckt zwischen kopfhohen Brennnesseln. Noch hätte ich umkehren können. Doch seit gestern war das nicht mehr möglich für mich.
    Kreuzkacke und Hühnerkümmel! Versteht ihr das nicht? Wer von euch besitzt schon ein eigenes Stadion? Ein Stadion, das Teufelstopf heißt und das eine Flutlichtanlage besitzt, die ihr selbst ein- und ausschalten könnt?
    Das musste ich doch meinem Vater erzählen. So wie Leon, Marlon, Fabi, Rocce oder Maxi das konnten. Das hatte ich gestern kapiert. Das hatte ich kapiert, als mein Arm auf dem Amboss lag und mir Marlon mit dem Lackstift den Wilden Kerl auf das Handgelenk „tätowierte“. Deshalb hatte ich auch geweint. Weil ich mir vorgestellt hatte, wie mein Vater sich freut, wenn ich ihm alles erzähle und wenn ich ihn zu einem Spiel um die Meisterschaft in der Dimension 8 einladen werde.
    Ich holte tief Luft. Dann stapfte ich los. Beim Dicken Michi und seinen Unbesiegbaren Siegern hatte es ausgesehen, als würden sich die Brennnesseln vor ihnen ehrfurchtsvoll teilen, doch mir schlugen sie gegen die Beine, die Arme und sogar ins Gesicht. Ja, und dann trat ich auf die Steppe hinaus.
    Vorsichtig schaute ich mich in der Einöde um. Milchige Gräser und Disteln wuchsen auf dem staubigen Boden und, obwohl es helllichter Tag war, huschte eine Ratte an meinen Füßen vorbei.
    Ich erschrak und hielt ein letztes Mal inne. Ich suchte verzweifelt nach einem Grund, der mich umkehren ließ. Aber es gab keinen Zweifel. Mein Vater musste dort sein. Es gab keinen anderen Ort. Warum sonst sollte meine Mutter so wenig über ihn wissen? Über jeden anderen Ort in der Welt wusste man mehr. Selbst über Tasmanien konnte man etwas in den Nachrichten hören. Doch über die

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