Juli, Die Viererkette
Plastiktüten mit ihrer Beute über ihre Köpfe hinweg. Süßigkeiten, Comic-Hefte und Getränkedosen flatterten und flogen aus ihnen heraus. Doch das störte sie nicht. Sie hatten genug davon. Genug, um alle Kindergeburtstage der Welt damit zu versorgen.
Dann hielt der Dicke Michi urplötzlich an. Er stand direkt unter mir und befahl seiner Horde zu schweigen. Die stellte sich erwartungsvoll um ihren Anführer auf. Der Dicke Michi grinste, nahm eine Cola-Dose, riss sie auf, presste den Inhalt in seinen Schlund, indem er die Dose einfach zwischen seinen Fingern zerquetschte, und reckte die Arme zum Himmel empor: „Jaah! So liebe ich es!“
Er rülpste, so laut er konnte, und die anderen lachten sich tot. Sie tranken ebenfalls, hoben alle zusammen die Hände hoch und riefen: „Und wir lieben es auch!“
Dann rülpsten sie alle und lachten nochmal.
Selbst ich musste grinsen, stieß dabei versehentlich meine Taschenlampe mit dem Ellbogen an, und sie rollte langsam auf die Steinkante des Torbogens zu. Sie würde den Dicken Michi direkt auf seinen Hinterkopf treffen. Kreuzkümmel und Hühnerkacke! Dann wär ich verloren. Ich hatte diese Mistkerle belauscht, und sie würden mit Sicherheit sehr erfindungsreich sein, um mich zum Schweigen zu bringen.
Schon kippte die Lampe über die Kante hinunter. Da streckte ich mich, erwischte sie in letzter Sekunde, fasste noch einmal nach und zog meine Taschenlampe zu mir zurück. Doch leider lösten sich dabei ein paar Kiesel, und die regneten jetzt auf den Dicken Michi hinab.
Plopp, plopp und plopp trafen sie ihn auf dem Kopf und plopp sprang ihm der vierte Kiesel direkt auf die Nase, als er seinen Blick zum Torbogen hob.
„Hey!“, schrie er die anderen an. „Haltet doch mal eure Klappe!“
Sofort war es still, und sofort schauten alle zu mir herauf. Ich duckte mich auf die alte Ruine und presste mein Gesicht auf den Stein. Mein Herz begann wie ein Presslufthammer zu schlagen, und der nächste Satz des Dicken Michi traf mich wie das Fallbeil den Hals.
„Krake!“, plärrte er heiser, „da oben rührt sich was!“
Krake, ein spinnengleicher Mistkerl mit Irokesenhaarschnitt, einem Kreuzspinnennetz-Tattoo auf der Stirn und mit Armen, die so lang waren, dass sie fast den Boden berührten, gehorchte sofort.
Ich gab mich auf. Das war’s. Das war mein Ende. Doch dann fiel mein Blick auf die Münze, die nach meinem letzten Wurf auf die Ruine gefallen war. Sie war krumm und verrostet. Aber sie war meine Glücksmark! Ich hatte sie vor Jahren im Spalt einer still gelegten Straßenbahnschiene gefunden. Seitdem trug ich sie immer mit mir herum, wie so viele andere Dinge. Meine Hosentaschen waren ständig kaputt, und meine Mutter schimpfte mich deshalb dauernd aus. Doch sie konnte nicht wissen, wofür dieser „Schrott“ nützlich war. Sie hatte keine Ahnung vom Doppelleben eines „Huckleberry“ Fort Knox. Doch sie würde auch niemals davon erfahren, wenn ich mir jetzt nicht sofort etwas einfallen ließ. Krake hatte längst mit dem Aufstieg auf das Schlosstor begonnen.
Ich starrte auf die Glücksmark, als wär sie der Stein der Weisen, und dann fiel es mir ein: Der Fuchsschwanz, den ich meiner Mutter stibitzt hatte, weil ich überzeugt davon war, dass er meinem Vater gehörte. Ja, diesen Fuchsschwanz brauchte ich jetzt.
Vorsichtig wälzte ich mich auf die Seite und tastete mit zwei Fingern in meine rechte Hosentasche hinein. Verflixt! Wo steckte er nur? Krake kam immer höher. Noch acht, nein, höchstens sieben Sekunden, dann ist er da. Puh! Da fühlte ich das weiche Fell, zog es heraus und rollte mich blitzschnell zur Glücksmark hinüber. Schon sah ich Krakes Hand und die suchte, nur einen halben Meter von mir entfernt, nach einem Halt.
Kreuzkacke und Hühnerkümmel! Jetzt wurde es Zeit! Ich kratzte mit der Hand auf den Steinen und wedelte mit dem Fuchsschwanz ganz nah an der Mauerkante herum. Doch der Dicke Michi bemerkte es nicht, und Krake zog sich inzwischen schon zu mir hoch. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich küsste meine Glücksmark ein letztes Mal und warf sie dann auf den Dicken Michi hinab. Sie traf ihn direkt auf der Wange, die so groß wie ein Wasserbett war.
„Hey!“, beschwerte der sich. „Was war’n das?“
Mit einer blitzschnellen Bewegung fing er die Münze auf, musterte sie grunzend und sah dann wieder zum Torbogen hoch, wo er den Fuchsschwanz entdeckte. Ja, und zum Glück hatte der Mistkerl in Biologie eine
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