Julia Bestseller Band 146
begann ihr langsamer Abstieg in die Realität. Die nächsten Tage empfand sie wie eine Waffenruhe. Leo machte sich rar und arbeitete viel. Natasha hingegen klapperte die Touristenläden im Stadtviertel Plaka, unterhalb der Akropolis, umso entschlossener ab. Dabei war sie sich des Aufpassers, den Leo ihr nachsandte, durchaus bewusst.
Es musste das größte Pech der Welt sein, dass sie, als sie einen weiteren Laden – immer noch ohne Job – verließ, ausgerechnet Gianna über den Weg lief. Vielleicht war es Zufall. Doch die Art und Weise, wie Gianna ihre langen Fingernägel in Natashas Arm krallte, ließ sie das bezweifeln.
„Ich muss mit dir reden“, sagte Gianna.
„Das sehe ich anders.“ Natasha versuchte weiterzugehen, aber die Nägel bohrten sich noch schmerzhafter in ihren Arm.
„Leo gehört mir“, kreischte Gianna unvermittelt. „Du glaubst, du hättest ihn mit diesem hübschen Ring am Finger eingefangen, aber das stimmt nicht. Du glaubst, du mit deinen blonden Locken bist das perfekte Gegengift zu mir, aber Leo wird immer zu mir gehören!“
„Nicht, dass es jemand anders auffallen würde“, erwiderte Natasha. „Wie du schon richtig erkannt hast: Ich trage seinen Ring, ich schlafe in seinem Bett. Und ich treibe es nicht reihum mit seinen Freunden.“
Selbst Natasha konnte kaum fassen, dass sie das gesagt hatte. Gianna stieß ein schrilles Lachen aus, was zu dem hysterischen Ausdruck in ihren Augen passte. Sie ließ ihren Arm los, und für einen Moment glaubte Natasha, Gianna würde ihr jetzt mit ihren langen scharfen Fingernägeln das Gesicht zerkratzen. Sie trat sogar einen Schritt zurück.
„Du kleine Närrin“, fauchte Gianna sie verächtlich an. „Was glaubst du denn, wo er die Nächte verbringt, wenn er nicht bei dir ist?“
„Das ist eine Lüge“, erwiderte Natasha sofort, ohne dem Gift der anderen Frau die Zeit zu geben, überhaupt zu wirken. Stattdessen schaute sie Gianna mitleidig an. „Such dir Hilfe, Gianna“, sagte sie kühl. „Du brauchst dringend welche.“
Damit wandte sie sich um und verschwand, gefolgt von ihrem Leibwächter, in der Menschenmenge.
Leo erwartete sie bereits, als sie zur Villa zurückkam. Er war wütend, sagte aber kein Wort, sondern griff nur schweigend nach ihrem Arm. Sorgfältig untersuchte er die sichelförmigen Verletzungen.
„Woher weißt du davon?“, fragte Natasha.
„Spielt das eine Rolle?“
„Nein“, seufzte sie und dachte an den Leibwächter. „Ich glaube, Gianna ist vollkommen verrückt. Ich empfinde sogar Mitgefühl mit ihr.“
„Das brauchst du nicht. Glaub mir, es ist gefährlich, sie zu bemitleiden.“
„Danke für die Warnung.“ Sie entzog ihm ihren Arm. „Da du jetzt sicher sein kannst, dass ich nicht verblute, kannst du wieder ins Büro fahren.“
Etwas an der Art und Weise, wie sie das sagte, ließ in Leos Kopf Alarmglocken klingeln. Er machte einen Schritt zurück. Sie sah ihn nicht an. Hatte er sich in der letzten Zeit gefragt, ob die alte Natasha für immer verschwunden war, so erhielt er nun seine Antwort. Denn sie war wieder zurückgekehrt.
Er seufzte tief. Er hatte eine furchtbare Woche hinter sich. Mehrmals hatte die Übernahme zu scheitern gedroht, sodass er immer wieder zu kurzfristigen Rettungseinsätzen hatte fliegen müssen. Normalerweise gefiel ihm diese Arbeit. Sie weckte seine Jagdinstinkte.
Dass Natasha ihn jetzt fortschickte, brachte ihm zu Bewusstsein, dass er seine Jagdinstinkte schon seit geraumer Weile nicht mehr bei ihr eingesetzt hatte.
„Bist du auf Streit aus?“, fragte er ganz sanft.
„Nein.“ Sie wandte sich um, als wolle sie aus dem Zimmer gehen.
„Magst du dann mit mir ins Bett gehen und mir zeigen, wie sehr du dir wünschst, dass ich heute Abend nicht nach Paris fliegen muss?“
„Paris?“ Sie wirbelte herum. „Aber du bist erst gestern von dort zurückgekommen.“
„Und heute muss ich wieder hinfliegen.“ Er zuckte die Schultern, als wolle er die permanenten Reisen, die sein Job erforderte, herunterspielen.
Natasha verschränkte die Arme vor der Brust. „Bist du deshalb hier … um deine Koffer zu packen?“
Die provozierende Unschuld erregte Leo nur noch mehr. Mittlerweile vermochte er ihre Körpersprache recht gut zu lesen. Ihre abweisende Haltung hatte mitnichten zu bedeuten, dass seine Worte nicht genau die Wirkung erzielten, die er beabsichtigt hatte.
„Ich dachte an etwas anderes“, meinte er und bewegte sich mit der Eleganz einer großen Raubkatze auf
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