Die Nacht Hat Viele Augen -1-
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21:46 Uhr
Im Halbdunkel des Raums leuchtete der Monitor unheimlich blau, aber die verschiedenen Fenster auf dem Bildschirm blieben hartnäckig dunkel. Seth Mackey warf einen Blick auf seine Uhr und trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Ihr Tagesablauf veränderte sich nie. Sie musste jede Minute nach Hause kommen.
Er hatte wichtigere Dinge zu tun. Er musste Hunderte Stunden Audio- und Video-Aufzeichnungen durchsehen, aber selbst mit Kearns hochgetunten digitalen Signalprozessorfiltern brauchte es seine Zeit, die Analysen durchzuführen. Er sollte zumindest die Signaldisplays beobachten oder die anderen Überwachungssites überprüfen. Alles, nur nicht das hier.
Er starrte immer noch auf den Bildschirm und versuchte, die heiße Erregung, die seinen Körper durchflutete, mit dem Verstand in den Griff zu bekommen. Die unzähligen Stunden von digitalem Videomaterial, die er von ihr gesammelt hatte, reichten einfach nicht. Er brauchte sie live und in Echtzeit.
Wie ein Junkie seinen Schuss.
Er fluchte, als sich dieser Gedanke in seinem Kopf breitmachen wollte, und er verdrängte ihn schnell. Er brauchte nichts – nicht mehr. Nach Jesses Tod hatte er wieder ganz von vorn angefangen. Er war so cool und unabhängig wie ein Cyborg. Sein Herzschlag veränderte sich nicht, seine Handflächen schwitzten nicht. Sein Ziel war klar und eindeutig. Es leuchtete in der Dunkelheit seines Gehirns so strahlend wie ein leitender Stern. Der Plan, Victor Lazar und Kurt Novak zu vernichten, war das Erste, was Seths Interesse in den zehn Monaten überhaupt wieder erregt hatte, seit sein Bruder Jesse von ihnen ermordet worden war. Dadurch hatte er sich auf wunderbare Weise nur auf diese eine Sache konzentrieren können – bis vor drei Wochen.
Die Frau, die gleich die Räume betreten würde, die er auf seinen Monitoren überwachte, war die zweite Sache.
Die mit einem Licht- und Bewegungsmelder verbundene Kamera, die die Garage beobachtete, sprang an. Er versuchte zu ignorieren, wie sich sein Puls beschleunigte, und warf einen Blick auf seine Uhr. 21:51 Uhr. Sie war seit sieben Uhr heute Morgen im Büro gewesen. Er hatte sie über die Kameras beobachtet, die er im Büro von Lazar Import und Export versteckt hatte, aber das war natürlich nicht dasselbe. Er wollte sie ganz für sich allein haben.
Der Wagen kam herein, die Scheinwerfer verloschen. Sie saß so lange zusammengesunken in ihrem Wagen, dass die Kamera sich abschaltete und das Fenster auf dem Bildschirm dunkel wurde. Er stieß einen Fluch aus und nahm sich vor, den Vorlauf von drei auf zehn Minuten zu erhöhen, während er einen Befehl eintippte, damit die Kamera auf Infrarot umschaltete. Das Bild erschien erneut, in einem unwirklichen Grün. Sie saß noch weitere zwei Minuten im Wagen und starrte ausdruckslos in das Dunkel der Garage, bevor sie schließlich ausstieg.
Die beiden anderen Kameras sprangen pflichtbewusst an, als sie die Tür aufschloss und in die Küche ging. Sie goss sich ein Glas Wasser ein, nahm die Hornbrille ab und rieb sich die Augen, wobei sie sich an die Spüle lehnte. Sie legte den Kopf in den Nacken, während sie trank, und entblößte dabei ihren schlanken, zarten Hals.
Offenbar versuchte sie, ihr Äußeres mit der Brille etwas härter erscheinen zu lassen. Das gelang ihr allerdings in keiner Weise. Die Kamera, die er in der Backofentür versteckt hatte, zeigte ihr blasses Gesicht, ihr entschlossenes Kinn, die Schatten unter ihren Augen.
Er zoomte auf ihre Augen. Ihre geschwungenen Brauen und langen Wimpern hoben sich dramatisch dunkel gegen ihre blasse Haut ab. Er hätte sie für eine gefärbte Blondine gehalten, wenn er nicht verdammt gute Gründe dafür gehabt hätte, genau zu wissen, dass ihr Blond absolut echt war. Sie schloss die Augen. Ihre Wimpern warfen Schatten auf ihre feinen, hohen Wangenknochen. Ihre Mascara war verschmiert. Sie sah erschöpft aus.
Lazars neues Sexspielzeug zu sein, musste anstrengender sein, als sie es sich vorgestellt hatte. Er fragte sich, wie sie mit ihm zusammengekommen war. Und ob sie viel zu tief drinsteckte, um jemals wieder herauszukommen. Die meisten Leute, die sich mit Lazar einließen, merkten bald, dass seine Schlinge um ihren Hals lag. Und dann war es natürlich längst zu spät.
Es gab keinen objektiven Grund, sie weiterhin zu beobachten. Nachdem er sich in ihre Personalakte gehackt hatte, fand er heraus, dass Lazar Import und Export sie vor einem Monat als persönliche Assistentin
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