JULIA COLLECTION Band 15
wollte Ben erst recht nicht besuchen.
Er wollte nur ein wenig herumfahren und irgendwo etwas essen gehen. Wenn er dabei zufällig in die Nähe von Kathleens Galerie kam, konnte er ja einen Blick in die Schaufenster werfen. Aber eben nur, wenn es sich ergab.
Sobald er unterwegs war, nahm er die direkte Straße nach Alexandria. In der Altstadt mit den gepflasterten Bürgersteigen war es relativ ruhig und friedlich. Die Häuser besaßen Charme, große Supermärkte hatten sich hier bislang nicht niedergelassen. Ben parkte parallel zur Hauptstraße und stieg aus. In der Nähe des Flusses Potomac bog er um eine Ecke und blieb stehen. Genau vor ihm lag Kathleens Galerie. Die modernen Bilder im Schaufenster entsprachen zwar nicht seinem Geschmack, doch er fand die Technik und den Einsatz der Farben gut.
Warum hatte Kathleen sich für diese Bilder entschieden? Lag es an den Gemälden oder an dem Maler? Zwischen zwei Bildern entdeckte er auf einer Staffelei ein Foto des Malers sowie eine Kurzbiografie. Der Mann sah nicht im üblichen Sinn gut aus. Dafür hatte er einen zu wilden Blick und zu eng stehende Augen. Dennoch verspürte Ben einen Stich ins Herz – Eifersucht.
Im hinteren Teil der Galerie brannte Licht. Wäre Ben klug gewesen, hätte er sich davongemacht, bevor ihn jemand bemerkte. Stattdessen ging er zur Tür und klopfte an. Kathleen tauchte sichtlich gereizt auf, doch das störte ihn nicht.
„Was machen Sie denn hier?“, fragte sie, als sie die Tür aufriss. „Es ist geschlossen.“
„Sie wollten doch unbedingt, dass ich mir Ihre Galerie ansehe“, erwiderte er und schob die Hände in die Hosentaschen. Der Wunsch, Kathleen in die Arme zu nehmen, war fast übermächtig. Und am liebsten wollte er sie auch wieder küssen. „Aber wenn ich störe, vergessen Sie es einfach.“
Als er sich abwandte, hörte er hinter sich einen deftigen Fluch. Solche Worte hätte er aus ihrem Munde nicht erwartet.
„Bleiben Sie“, verlangte Kathleen dann. „Sie haben mich nur in schlechter Stimmung erwischt. Ich wäre normalerweise nicht mal hier, aber wäre ich zu Hause geblieben, hätte ich wahrscheinlich mit Gegenständen um mich geworfen.“
Ben drehte sich wieder um. „Und wer ist für diese schlechte Stimmung verantwortlich? Oder ist sie noch Folge von unserem Zusammentreffen heute Morgen?“
„Sie haben mich nur genervt, aber meine Mutter ist der einzige Mensch, der mich richtig zornig machen kann.“
„Aha, verstehe“, behauptete er, obwohl das nicht zutraf. „Wollen Sie vielleicht lieber von hier weg, bevor Sie womöglich die Bilder zerschneiden?“
„Ich dachte, Sie möchten sich die Gemälde ansehen“, hielt sie ihm vor.
„Das dachte ich auch, aber offenbar bin ich doch Ihretwegen hier“, räumte er ein. „Haben Sie schon gegessen?“
„Nein. Es hat mir den Appetit verschlagen.“
„Schade, aber ich kenne ein Gegenmittel. Wir unternehmen einen langen Spaziergang, bei dem Glückshormone freigesetzt werden. Dann sind Sie bereits in viel besserer Stimmung, wenn wir essen.“
„Sofern Sie mich nicht wieder aufregen“, entgegnete sie.
„Ich werde mich bemühen, es nicht zu tun“, versprach er.
„Dann bin ich einverstanden. Ich schalte nur die Lichter aus und hole meinen Mantel.“ Sie zögerte. „Wollen Sie nicht doch hereinkommen und sich umsehen?“
„Ein anderes Mal“, erwiderte Ben.
„Versprochen?“
Lächelnd legte er ihr die Hand unters Kinn und strich mit dem Daumen über ihre weiche Haut. „Versprochen“, sagte er, ohne daran zu denken, dass er sonst nie Versprechen gab. Aber letztlich ging es nur um einen Besuch in einer Galerie. Das war harmlos.
Doch dann blickte er in Kathleens veilchenblaue Augen, und es traf ihn völlig unvorbereitet. Als Kathleen ihren Mantel holte, hätte er beinahe die Gelegenheit genutzt, um die Flucht zu ergreifen.
Nein, er blieb dennoch stehen und wartete, und er redete sich ein, dass überhaupt keine Gefahr bestand, weil er das gar nicht zuließ.
Es war das erste Mal seit Jahren, dass er sich selbst belog.
„Also“, meinte Kathleen, als sie bei Kerzenschein mit Ben in einem Restaurant saß, in dem man angeblich die besten Meeresfrüchte in der ganzen Stadt aß. „Wenn wir das Essen ohne Streit überstehen wollen, fallen folgende Themen weg: Kunst, Ihre Tante Destiny und meine Mutter.“
Ben prostete ihr mit seinem Bierglas zu. „Klingt vernünftig“, meinte er und lächelte entwaffnend. „Aber können Sie sich auch daran
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