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Plattenbaugefühle: Jugendroman

Plattenbaugefühle: Jugendroman

Titel: Plattenbaugefühle: Jugendroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jannis Plastargias
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HEUTE … ICH
    I n Berlin ist bereits der Herbst angekommen. Als ich aus dem Haus trete, bin ich froh, dass ich meine Jacke angezogen habe. Ich laufe automatisch nach links, wie ich es schon tausendmal getan habe, ein Stück die Eisenacher Straße hoch, eine gute Gegend mit schicken renovierten Häusern.
    »Jonas!« Plötzlich höre ich jemanden meinen Namen rufen. Ich schaue mich um, entdecke einen türkisch aussehenden jungen Mann, er ist hübsch und erinnert mich an … an Afyon, irgendwie. Die gleichen vollen dunklen Haare, mittellang, die gleichen mädchenhaften Wimpern, seine Statur ist etwas anders, er ist nicht so schmächtig, eher muskulös, durchtrainiert.
    »Jonas!« Er ruft noch einmal und ich denke mir, dass ich ihn sicherlich nicht kenne. Mich überkommt eine große Angst - oh Mann, jetzt folgt die Rache, dass ich den guten Sohn Afyon ›verführt‹ habe - die Familienehre muss wieder hergestellt werden. Scheiße! Ich renne schnell los, in die Motzstraße hinein, der Typ hinter mir her. Ich weiß jetzt, was das Flight-and-Fight-Syndrom ist, ich sprinte wie Usain Bolt davon, während der Kerl hinter mir her ruft: »Jonas, ich möchte nur mit dir reden! Ich mache dir nichts!«
    Den Nollendorfplatz kann ich schon sehen, überlege mir, in die nächstbeste Tram zu springen; doch - wie soll ich da weiter vor ihm fliehen, ich kann ja nicht aussteigen. Scheiße! Was mache ich nur? Er bleibt mir auf den Fersen. In der Kurfürstenstraße überlege ich, ob ich nicht einfach bei einem der Passanten stehen bleiben soll - die werden mir doch helfen, ich kann doch nicht mitten in Schöneberg verschleppt werden. Warum renne ich? Warum sehe ich keinen Polizisten? Warum keinen Bekannten?
    Meine Gedanken verheddern sich, meine Beine ebenso, ich schaue nach hinten, ich stolpere über eine Hundeleine, mein Körper verliert jegliche Kontrolle, ich stürze auf den Gehweg, neben mir bellt aufgeregt ein Hund.
    Eine orientalisch aussehende Frau lächelt mich an, fragt, ob alles in Ordnung sei und hilft mir beim Aufstehen. Ich schaue wieder nach hinten, sehe den Verfolger nicht mehr, möchte mich freuen, doch er steht genau vor mir und hält mich am Arm fest.
    »Es ist alles gut!« sagt er zu der Frau, zwinkert mir zu, »vielen Dank, habe die Ehre … meinem kleinen Bruder geht es schon wieder gut«, meint er und zeigt auf mich, die Frau starrt uns an, zieht ihren Hund mit sich, ich schaue sie verängstigt an, dann ihn, der Hund bellt uns alle an. Bruder? Ich sehe mit meinen blonden langen Haaren und den blauen Augen alles andere als orientalisch aus. Er führt mich ab, wie es Polizisten tun, hat mich sehr fest im Griff, ich fürchte mich, weiß nicht, was das werden soll.
    »Ich will nur mit dir reden!« flüstert er mir zu und zieht mich um die Ecke. »Hab keine Angst!« sagt er, ich laufe mit ihm, schaue ihn misstrauisch an, »wir sind gleich da«, wir biegen in die Lützowstraße, er zeigt auf ein Haus. Ich lasse mich von ihm lenken, ab und zu zucke ich mit den Schultern, jegliche Versuche, mich loszureißen, verhindert er mit seinen starken Armen, ich fühle mich schwach. »Ich will nur mit dir reden«, wiederholt er, wir schreiten in das Treppenhaus hinein, »du brauchst keine Angst zu haben«, wir gehen in eine Wohnung hinein, ich bin nassgeschwitzt.
    »Ich hab’ ihn!« ruft mein Verfolger im Flur, führt mich ins Wohnzimmer, aus dem ein junger hübscher Mann auf uns zukommt, er ist blond, Surfer-Typ, mit einem grünen Schal, violettem Pulli, engen gelben Hosen und grünen Chucks angezogen. Sieht echt schwul aus, auf jeden Fall gut, und das beruhigt mich ein wenig. Ich schaue mich um. Wo sind die türkischen Brüder versteckt, die man aus dem Klischee kennt?
    »Er ist ein bisschen störrisch …«, sagt mein Entführer zu dem blonden Typen, »vielleicht taut er ja bei dir auf!« und lässt endlich meinen Arm los. Die Stelle brennt.
    Der andere kommt näher. »Ich bin David, der Freund von Erol«, begrüßt er mich mit Handschlag. Zögerlich reiche ich ihm meine Hand und schaue mir ›Erol‹ an, so heißt offensichtlich mein Entführer, »kann ich dir etwas anbieten? Ein Wasser? Eine Cola?« fragt der blonde David und bedeutet mir auf der stylischen Couch Platz zu nehmen.
    In mir überschlägt sich alles. Erol heißt der Typ also, David ist sein Freund - wie, sein Freund? Eine Cola trinken? Warum so nett? Spielen sie good cop, bad cop? Was ist hier los? Wie geht das weiter? Bin ich entführt worden oder nicht?
    »Cola

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