Julia Extra 0353
nach meinem Tod geschieht. Darum habe ich dich hergerufen. Du musst mir jetzt etwas versprechen, Raoul, bevor es zu spät ist …“
Der alte Mann sackte erschöpft in die Kissen zurück und schloss die Augen. Sein Gesicht wirkte fahl und eingefallen, als wäre die letzte Anstrengung zu viel für ihn gewesen.
Zum ersten Mal begriff Raoul plötzlich, dass es kein Zurück mehr gab. Seit über zehn Jahren war Umberto wie ein Vater für ihn. Und nun lag sein ältester Freund, sein Mentor und einziger Familienersatz im Sterben. Am liebsten wäre Raoul aus dem Krankenzimmer geflohen. Aber er wusste, dass er vor dem Schmerz in seinem Inneren nicht davonlaufen konnte.
„Ich würde alles für dich tun, Umberto. Das weißt du.“ Die Worte fühlten sich rau in seiner Kehle an. „Du hast mein Wort.“
Eine Ewigkeit verging. Nur das Geräusch der Maschinen verriet, dass sein Freund noch am Leben war.
Schließlich hoben sich flatternd die Lider, und der alte Mann sah ihn aus trüben Augen an. „Kümmere dich um Gabriella! Nach meinem Tod wird sie verletzlich sein. Solange ich nicht weiß, dass sie in Sicherheit ist, kann ich keine Ruhe finden.“
Raoul legte dem Sterbenden beruhigend die Hand auf die Schulter. Unter seinen Fingern spürte er kaum mehr als zerbrechliche Knochen. „Dann kannst du ganz beruhigt sein, alter Freund. Es wäre mir eine Ehre, ihr Vormund zu sein.“
Anstatt Raoul zu danken, überraschte ihn der alte Mann mit einem protestierenden Schnauben. Für einen kurzen Moment glaubte Raoul, wieder den alten Umberto vor sich zu sehen. Er wollte sich bereits über den winzigen Lebensfunken freuen, als er ganz langsam begriff, was Umberto da von ihm verlangte.
Das ist völlig unmöglich, durchfuhr es Raoul. Augenblicklich hatte er das Gefühl, von einem Tsunami überrollt zu werden.
Er sprang auf, unfähig sitzen zu bleiben, während die Welle sein Innerstes durcheinanderwirbelte. Mit feuchten Händen fuhr er durch sein Haar und zerrte an der Krawatte. War die Klimaanlage ausgefallen? Es war viel zu heiß im Zimmer!
„Raoul, hast du gehört, was ich gesagt habe?“ Umbertos dünne Stimme drang durch den Sturm, der in seinem Inneren tobte.
„Ich habe dich gehört … jedes einzelne Wort.“ Doch das hielt Umberto nicht davon ab, sein Anliegen noch einmal zu wiederholen. Raoul fühlte sich, als würde sich ein giftiger Stachel in seine Seele bohren.
„Du musst sie heiraten, Raoul! Bitte versprich mir, dass du Gabriella heiraten wirst.“
Absoluter Wahnsinn! Er sog tief die Luft ein. Sie roch nach Tod und Desinfektionsmitteln und nach chemischen Sprays, die all das überdecken sollten und kläglich gescheitert waren.
Raoul hasste, was hier geschah, und er hasste noch mehr, was er hörte. War es nicht schlimm genug, dass sein alter Freund im Sterben lag? Er muss bereits unzurechnungsfähig sein, entschied Raoul, sonst könnte er nicht so einen Irrsinn verlangen!
„Du weißt, dass das unmöglich ist. Außerdem …“ Er dachte an das letzte Mal, als er das Mädchen gesehen hatte, und fuhr fort: „Selbst wenn ich verrückt genug wäre, noch einmal zu heiraten, ist Gabriella noch viel zu jung!“
„Sie ist eine erwachsene Frau.“ Umbertos Stimme brach, und er zwinkerte Tränen fort. „Sie ist vierundzwanzig.“
Wie schnell die Zeit vergeht, dachte Raoul schockiert und verfluchte im Stillen die Jahre, die er unbemerkt verloren hatte. War es wirklich schon so lange her?
„Dann ist sie doch alt genug. Warum traust du ihr nicht zu, dass sie selbst einen guten Ehemann aussucht?“
„Und wenn sie Consuelo Garbas wählt?“
„Manuels Bruder?“ Raoul hob ungläubig seine Hände. Mein Gott! dachte er. Konnte dieser Albtraum noch schlimmer werden?
Der Name Garbas war in seine Seele eingebrannt, so tief, dass er schon bei der Erwähnung den Schmerz in seinen Knochen spürte. Vor langer Zeit, in einer dunklen Vergangenheit, hatte er gehofft, dass er den Namen nie wieder hören würde.
Aber er hätte wissen müssen, dass er diesem Fluch nicht so leicht entkommen konnte. Die Garbas-Brüder waren wie ein schwarzes Loch, das der Welt in seiner Umgebung das Leben entzog und alles und jeden auf seinem Weg verschlang.
Raoul sah Umberto an. „Was will Consuelo von Gabriella?“
„Er schleicht wie eine Hyäne um sie herum, die auf Aas lauert, und wartet darauf, dass sie fünfundzwanzig wird. Dann kann sie ihr Erbe einfordern.“ Der alte Mann rang mühsam nach Atem. „Er weiß, dass ich eine Ehe mit ihm
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