Julia Extra 0353
Trost spenden, mehr nicht. Er wäre eine unhöfliche Überreaktion, seine Hand wegzuschieben.
„Kommst du?“, fragte Consuelo, der plötzlich wie eine Erscheinung vor ihnen stand. „Wir sind spät dran.“ Er runzelte die Brauen und sah von einem zum anderen.
„Gabriella hat auf dich gewartet.“ Raoul hörte selbst, wie feindselig er klang.
Consuelo schien davon nichts zu bemerken. Offensichtlich interessierte ihn nur Raouls Hand auf Gabriellas Nacken. Er starrte sie an, als könnte er sie mit seinem Blick verschwinden lassen.
Errötend legte Gabriella ihre Finger auf Raouls Hand und schob sie sanft fort.
„Habe ich etwas verpasst?“ Irritiert sah sie die Männer an. Plötzlich bemerkte sie, wie ähnlich sie aussahen – und wie verschieden. Beide besaßen dunkle Augen und einen olivfarbenen Teint. Doch Raoul war größer, breiter und weitaus beeindruckender. Neben ihm wirkte Consuelo fast klein. „Kennt ihr euch?“
„Consuelo und ich sind alte Freunde“, erklärte Raoul gedehnt. Sein Tonfall verriet, dass sie alles andere als Freunde waren. „Nicht wahr, Consuelo?“
In den Augen des anderen Mannes flackerte etwas wie Angst auf. Er rückte seine Krawatte zurecht und sah zu Gabriella. „Ich habe gerade mit Philippa gesprochen. Sie hat gesagt, dass der Pastor ein paar Worte sagen will. Aber er möchte erst anfangen, wenn du da bist. Wir sollten gehen. Jetzt.“
„Du hast also die ganze Zeit mit Philippa telefoniert?“ Seltsam, dachte Gabriella. Normalerweise sprachen die beiden kaum miteinander. Gabriella war nicht einmal sicher, ob ihre Freundin ihn überhaupt mochte. Wahrscheinlich hat sie ihn angerufen, weil ich mein Handy ausgestellt hatte, überlegte sie. „Ja, dann sollten wir besser gehen. Fährst du mit uns, Raoul?“
Consuelo nahm ihren Arm und zog sie näher zu sich. „Komm, der Wagen wartet schon.“
Raoul lächelte. „Danke für das Angebot, aber ich bleibe noch ein paar Minuten hier. Ich komme später nach.“ Ohne seine dunklen Augen von ihren zu lösen, nahm er ihre Hand, hob sie zu seinen Lippen und küsste sie. „Bis später, Bella“, murmelte er fast zärtlich.
Dann wanderte sein Blick zu Consuelo und verhärtete sich. „Garbas.“ Er nickte ihm knapp zu,
Ohne ein weiteres Wort nahm Consuelo ihre Hand und zog sie fort.
Raoul sah den beiden nach, wie sie ihm Nebel verschwanden. Gabriellas Mantel war in der Taille gebunden und betonte ihre schlanke Figur. Als der andere Mann ihr wie selbstverständlich den Arm um die Schultern legte und sie an sich drückte, biss Raoul die Zähne zusammen.
Umberto hatte recht gehabt, als er Consuelo mit einer Hyäne verglichen hatte, die auf ihre Chance wartete. Aber wenn es nach Raoul ging, würde dieser Kerl nicht einen Cent von Gabriellas Vermögen sehen.
Gabriella.
Bella.
Bis zu dem Zeitpunkt, als ihm ihr Kosename wie selbstverständlich über die Lippen gekommen war, hatte er nicht einmal gewusst, dass er sich noch daran erinnerte. Wie sehr sie sich in den letzten zwölf Jahren verändert hatte!
Als hätten wir auf zwei verschiedenen Planeten gelebt, dachte Raoul bitter. Er selbst hatte in der Zeit Verlust, Betrug und Tod erlebt – und sich schließlich von allem zurückgezogen. Doch bei Bella hatten diese Jahre Wunder gewirkt. Sie war von einem unscheinbaren Mädchen zu einer wunderschönen jungen Frau herangewachsen.
Aber das war zu erwarten gewesen, überlegte er. Schon ihre Mutter war eine Schönheit gewesen, halb englische Rose, halb feurige Italienerin. Ihr Vater entstammte dem französischen Hochadel.
Gabriellas herzförmiges Gesicht vereinte das Beste von beiden: die Katzenaugen und die seidenweichen Züge ihrer Mutter und den leidenschaftlichen Mund des Vaters. Wunderschön. Zerbrechlich.
Viel zu gut für ihn.
Was hat Umberto sich nur dabei gedacht? fragte sich Raoul. Wieso wollte er seine geliebte Enkelin ausgerechnet mir zur Frau geben? Ich bin ein gebrochener Mann. Gibt es nicht noch einen anderen Weg, um sie vor Consuelo zu beschützen?
Du musst sie nicht lieben , hörte er wieder Umbertos Worte.
Selbst wenn er noch in der Lage wäre zu lieben – was sollte eine Frau wie Gabriella mit seiner Liebe anfangen? Und welchen Grund hätte sie, ihre Liebe an ihn zu verschwenden? Warum, in aller Welt, sollte eine Frau wie sie ihn jemals heiraten wollen?
Aber das war vielleicht auch gar nicht nötig. Consuelo würde schon bald Geschichte sein! Hinter Schloss und Riegel, wo er sie nicht mehr verletzen konnte.
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