Julia Extra Band 0211
Sie kannte die Anzeichen. Raoul hatte noch nie etwas für Dummköpfe übergehabt.
“Also, ich muss Leigh wirklich tadeln, dass sie uns Sie bisher vorenthalten hat”, ließ Vivian in übertriebener Empörung hören. “Aber stille Wasser sind ja bekanntlich tief, nicht wahr?” Sie lachte kehlig und war sich ihrer Schönheit und Wirkung absolut bewusst. In den letzten zwei Jahren hatten sie ihr auf den Laufstegen der Welt sechsstellige Summen eingebracht. Provokativ und besitzergreifend griff sie nach Raouls Arm. “Jetzt sagen Sie bloß nicht, dass Sie ein alter Freund sind!”
“Nicht im Traum würde ich daran denken”, entgegnete Raoul ruhig, aber seine Augen glitzerten wie Eis.
“Nicht?” Vivian klimperte mit ihren überlangen Wimpern und stieß Leigh fast um, als sie versuchte, ihre Beute mit sich zu ziehen. “Was dann?”
“Ihr Ehemann”, gab er ungerührt zurück und schien ein diabolisches Vergnügen angesichts ihrer fassungslosen Miene zu empfinden.
“Das ist ein Scherz!”, stieß das Model mit heiserer Stimme hervor und ließ ihren Blick von Raouls beeindruckender attraktiver Erscheinung zu Leighs mittelgroßer unauffälliger Gestalt und dem schmalen blassen Gesicht wandern, in dem die großen braunen Augen feucht glänzten. “Das glaube ich Ihnen nie!” Die unterschwellige Beleidigung war nicht zu überhören, und in dem Maße, wie Leigh vor Verlegenheit errötete, verdunkelte sich Raouls Miene. Als er wieder sprach, klirrte seine Stimme wie Stahl. “Das ist dann wohl allein Ihr Problem, nicht war?” Mit einer beschützenden Geste umfasste er Leighs Arm und zog sie in eine ruhige Ecke des überfüllten Raumes.
“Lass mich los!”, zischte sie unterdrückt und holte zitternd Luft, als er ihrer Aufforderung nach kurzem Zögern nachkam. Ihre unterdrückte Wut gab ihr die Courage, ihm ohne das leiseste Wimpernzucken direkt in die Augen zu schauen. “Warum hast du ihr das gesagt? Und warum bist du überhaupt hier? Ich will dich nicht in meinem Leben!”
“Das ist nicht zu übersehen”, gab er ruhig zurück. “Trotzdem ist es wahr. Du bist meine Frau, Leigh.” Unter seinem sengenden Blick begannen ihre Lider zu flattern, und sie wandte sich ab, um den Partygästen kein Schauspiel zu liefern. “Und schau mich nicht so ängstlich an. Ich will dir doch nicht wehtun.”
“Du willst nicht …?” Sie brach ab und stieß ein bitteres Lachen aus. “Was könntest du mir noch tun, was du mir nicht schon angetan hast, Raoul? Ich hasse und verabscheue dich. Warum hast du mir die Scheidung verweigert, als ich dich verlassen habe?”
“Damals wollte und konnte ich nicht anders. Und später hast du nicht mehr danach verlangt. Warum eigentlich nicht?”
“Warum?” Sie starrte ihn aus tränennassen Augen an. “Weil ich dich aus meinem Leben und Gedächtnis tilgen wollte! Ich wollte vergessen, dass du überhaupt existierst. Ich wollte glauben, dass unsere Ehe nie stattgefunden hat.” Das war allerdings nicht die ganze Wahrheit. Die Scheidung war ihr damals unwichtig erschienen, verglichen mit dem ungeheuren Schritt, ihren Ehemann tatsächlich zu verlassen. Der Gedanke an eine erneute Heirat wäre ihr ohnehin nie gekommen.
“Ich habe trotzdem darauf gewartet, dass du dich irgendwann bei mir melden würdest.”
Sie runzelte die Stirn und hob leicht ihr Kinn. “Bist du deshalb hier? Um mich um die Scheidung zu bitten?”
“Nein, das ist nicht der Grund.”
“Wie heißt sie?”, fragte Leigh kalt. “Marion ist doch bestimmt nicht mehr aktuell, oder?”
“Ich habe nicht vor, meine Privatangelegenheiten hier in der Öffentlichkeit zu diskutieren”, entgegnete er lässig. “Aber um die Scheidung geht es bestimmt nicht. Wann kannst du hier weg?”
Zunächst war sie sprachlos. Dann räusperte sie sich umständlich. “Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich irgendwo mit dir hingehen würde. Außerdem bin ich nicht allein.” Sie reckte den Hals und winkte vage in den überfüllten Raum hinein.
“Bist du nicht?” Seine glitzernden Augen schienen sie zu verspotten. “Dabei dachte ich, dass Jeff Capstone sich momentan in Schottland aufhält.” Sein kühles Statement trieb Leigh die Röte ins Gesicht. “Du siehst also – ich weiß mehr über dich, als du denkst.”
“Wie kannst du es wagen …” Ihre Stimme versagte vor Wut. “Was glaubst du eigentlich, wer du bist?”
“Das haben wir doch inzwischen geklärt. Ich bin dein Ehemann.”
“Nur dem Namen nach!”, fauchte
Weitere Kostenlose Bücher