Julia Extra Band 0349
natürlich der Stolz.
Sie trat einen Schritt nach vorn, um sozusagen verlorenes Terrain wiedergutzumachen und Rafael Alejandro zu beweisen, dass er sie nicht einschüchterte.
Seine Augen funkelten. „Braves Mädchen“, sagte er anerkennend.
„Dass Sie mir Ihre Anerkennung aussprechen, macht mein Leben erst lebenswert“, erwiderte sie sarkastisch.
„Das ist ein bisschen übertrieben, aber ich würde sagen, Sie haben … Potenzial. Und was die Schuldfrage betrifft, so sollten Sie da lieber nicht zu tief schürfen, sonst stoßen Sie auf die Tatsache, dass Ihr Vater die einfachsten und grundsätzlichsten Regeln des Geschäfts nicht versteht.“
„Mein Vater ist doppelt so viel wert wie Sie!“
„Schon möglich“, gab er gelassen zu.
„Und es ist nicht Dads Schuld! Viele Betriebe leiden unter der Wirtschaftskrise. Er hätte bloß mehr Zeit gebraucht, um …“
„Was? Noch eine Runde Golf zu spielen?“, warf Rafael zynisch ein.
„Nein, um das Geschäft zu retten. Dad gibt sich ja selbst die Schuld an allem“, erklärte sie. „Er fühlt sich verantwortlich, dass seine Angestellten ihre Jobs verlieren.“
„Er hat damit auch völlig recht!“
„Wenn mein Vater so ein Versager ist, warum hat dann Ihr Großvater Vertrauen in ihn gesetzt, Mr Alejandro?“
„Mein Großvater wird seine Gründe gehabt haben.“
„Und die verstehen Sie bestimmt nicht!“, warf sie ihm vor. „Ihr Großvater war ein anständiger Mann. Schade, dass Sie nichts von seiner Integrität geerbt haben!“
7. KAPITEL
Nach Libbys Ausbruch herrschte lastendes Schweigen. Mit einer Miene, die wie versteinert wirkte, drehte Rafael sich um und ging zum Schreibtisch, wo er eine Schublade öffnete und einige Papiere herausnahm.
Mit denen kam er zurück. „Hier haben Sie ein Beispiel für die von Ihnen gelobte Integrität meines Großvaters, Miss Marchant“, sagte er ironisch und drückte ihr die Blätter in die Hand. „Lesen Sie das durch. Das wird Ihnen vermutlich eine Lehre sein.“
„Was ist das?“, fragte Libby verwirrt.
„Ein Abkommen zwischen meinem Großvater und einem großen Bauunternehmen.“
„Was hat das mit mir zu tun?“, wollte sie wissen.
Rafael wies auf zwei Wörter in einem der unteren Absätze der ersten Seite. „Na, kommt Ihnen das bekannt vor?“
„Was soll das geheimnisvolle Getue?“, fragte sie missmutig. „Warum können Sie mir nicht klipp und klar …“ In dem Augenblick registrierte sie das Geschriebene. „‚Maple House‘? Mein Zuhause? Was soll denn das alles?“
„Das hier ist eine Vereinbarung zwischen meinem Großvater und besagter Baufirma, die sich auf Großprojekte spezialisiert hat. Auf dem Grundstück soll ein riesiges Einkaufszentrum entstehen. Es ist alles ausgemacht und hätte nur noch unterzeichnet werden müssen.“ Seine Stimme klang kalt. „Mein Großvater hatte lediglich das Pech, dass ihm der Tod einen Strich durch die Rechnung machte.“
„Ich kann nicht glauben, dass er uns …“, begann Libby leise.
„Doch. Mein Großvater hat Ihrem Vater den Kredit nur gegeben, um letztlich an den Besitz zu kommen.“
Sie las rasch die erste Seite und blätterte weiter.
„Unmöglich!“, rief Libby plötzlich. „Es kann doch nie und nimmer so viel wert sein!“
„Aber natürlich. Die Planungserlaubnis für das Einkaufszentrum ist nur noch eine Formalität, insofern ist das Grundstück – ohne Haus – vermutlich sogar noch mehr wert. Mein Großvater war nicht ganz so gewieft als Geschäftsmann, wie er geglaubt hat.“
„Unser Haus soll abgerissen werden?“, fragte Libby entsetzt. „Das kann nicht sein! Ihr Großvater wollte Dad helfen. Sie waren doch Freunde!“
„Mein Großvater hat Profit immer höher geschätzt als Freundschaft“, erklärte Rafael kühl. „Als er Ihrem Vater das Geld lieh, wusste er schon, dass er es nicht zurückgezahlt bekommen würde. Ihr Vater hat die Motive meines Großvaters nicht genau hinterfragt, weil es ihm um einen einfachen Ausweg aus der Misere ging, ohne Mühe und Arbeit.“
„Aber er …“
„Ihr Vater, Miss Marchant, ist ein bequemer Mensch, der einen gut gehenden Betrieb geerbt und den in Grund und Boden gewirtschaftet hat. Dass sein Name auf dem Firmenbriefkopf stand, hat ihm anscheinend genügt.“
„Dad war die Familie immer wichtiger als die Arbeit“, verteidigte Libby ihren Vater.
„Alles war ihm wichtiger als die Arbeit“, meinte Rafael ätzend.
Sie senkte den Kopf und gestand sich im Stillen ein, dass
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