Julia Extra Band 357
Elizabeth sich ja noch gefallen lassen. Erst bei der gepunkteten Tunika aus Bettbezügen hatte sie gestreikt, nachdem sie im Winter zuvor bereits zähneknirschend einen unförmigen aus grünen Wolldecken genähten Mantel hatte tragen müssen. Mit dreizehn Jahren hatte sie angefangen, ihre Kleidung selbst von dem Geld zu kaufen, das sie als Babysitter verdiente und nicht zur Haushaltskasse beisteuern musste.
Nachdenklich betrachtete Elizabeth ihr Spiegelbild. Sie war wirklich von einem Extrem ins andere gegangen. Als Kind immer auffällig gekleidet, danach wie eine graue Maus. Und nun?
Eigentlich spielte es doch keine Rolle, was sie trug, oder? Thomas hatte sie gerade wegen ihrer unauffälligen Kleidung engagiert, damit sie seine Verlobte spielte. Sie wäre perfekt für die Rolle, hatte er gesagt, weil sie wie eine typische „Beth“ aussah. Besser gesagt ausgesehen hatte, bevor sie in Mels sexy Outfit geschlüpft war.
Da es also egal war, was sie trug, zerrte sie ihr ältestes schwarzes Kostüm aus dem Schrank, in dem sie laut Mel wie eine angehende Nonne auf dem Weg ins Kloster aussah. Jetzt noch die ausgetretenen flachen Pumps – natürlich auch schwarz. Elizabeth war gerade fertig, als ihr Handy klingelte. Sofort beschleunigte sich ihr Puls, als sie den Namen des Anrufers auf dem Display las.
„Hallo Thomas.“
„Guten Morgen! Ich hoffe, ich störe nicht.“
„Ganz und gar nicht. Ich will mich gerade auf den Weg ins Büro machen.“ Sie klopfte sich innerlich auf die Schulter, weil ihre Stimme trotz der Aufregung völlig normal klang.
„Ich auch.“
„Rufst du wegen des Sakkos an?“
„Wegen … stimmt ja. Ich habe es in der Küche vergessen.“
„Ja. Dort hängt es noch. Ich bringe es dir mit, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Falls du es nicht eher benötigst.“
„Nein, das reicht völlig. Eigentlich rufe ich wegen unseres nächsten Treffens an. Wir haben gar nichts verabredet.“
Kein Wunder, dazu waren sie viel zu abgelenkt gewesen …
Elizabeth riss sich zusammen. „Lass mich überlegen“, bat sie in geschäftsmäßigem Tonfall. „Um zehn habe ich eine wichtige Besprechung. Alles andere kann ich aufschieben. Dann könnten wir uns zum Mittagessen treffen.“
Beim Mittagessen in einem Restaurant würde er doch wohl keine Annäherungsversuche wagen, oder?
„Leider kann ich die Firma heute erst am späten Nachmittag verlassen. Eine Besprechung jagt die nächste. Es geht mal wieder ums Marketing. Deshalb schlage ich vor, wir treffen uns wieder zum Abendessen.“
„Hm.“
„Oder später, wenn du schon etwas vorhast.“
„Nein, Abendessen ist okay. In der Nähe der Uni hat ein neues indisches Restaurant eröffnet, das ich gern mal ausprobieren würde. Was hältst du davon?“
„Gute Idee. Es ist bestimmt schön scharf, so wie du es magst.“
Was ist denn plötzlich mit seiner Stimme los?, überlegte Elizabeth. Oder bildete sie sich nur ein, dass Thomas plötzlich heiser klang?
„Prima, dann treffen wir uns dort um …“
„Nein, ich hole dich ab, Elizabeth.“
„Das ist nicht nötig.“ Sie befürchtete, ihre Gefühle könnten wieder mit ihr durchgehen, wenn sie mit ihm allein war.
„Warum nicht? Ist es wegen gestern Abend?“
„Aber nein!“, schwindelte sie.
„Ich muss mich wirklich dafür entschuldigen, was passiert ist.“
Eine Entschuldigung für das, was nicht passiert war, hätte sie angebrachter gefunden. Was verriet das über sie?
„Das ist wirklich nicht nötig“, widersprach sie schnell. „Mit uns sind einfach die Pferde durchgegangen.“ Leider waren sie viel zu schnell wieder eingefangen worden.
„Stimmt.“ Nach kurzem Nachdenken fügte er entschlossen hinzu: „Ich hole dich ab. Wann passt es dir?“
„Gegen halb sechs?“, schlug sie vor. Es hatte ja doch keinen Sinn, weiter zu diskutieren. Womöglich würde Thomas dann merken, dass sie befürchtete, ihre Gefühle würden erneut verrückt spielen, wenn sie mit ihm allein war. Im Auto. Auf der Fahrt zu einem Restaurant mit scharfem Essen.
„Abgemacht.“
„Holst du mich dann bitte vom Büro ab? Ich warte draußen.“ Sicher ist sicher, dachte sie.
„Wieso tauchst du hier in dieser Nonnentracht auf?“, fragte Mel missbilligend, noch bevor Elizabeth den Rechner im Büro hochgefahren hatte. „Waren wir uns nicht einig, dass du diese erzkonservativen Klamotten in die Altkleidersammlung gibst?“
„Die Sachen sind aber so bequem“, rechtfertigte sie sich.
„Bequemes kann auch
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