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Die Kaufmannstochter von Lübeck

Die Kaufmannstochter von Lübeck

Titel: Die Kaufmannstochter von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Conny Walden
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E rstes K apitel

    Eine süße Medizin
    Lübeck, anno 1367
    »Johanna! Schau es dir an! Und koste ein bisschen von der göttlichen Speise! So schnell wird man uns das nicht noch einmal erlauben!«
    Johanna von Dören kniete auf der Gebetsbank, die in ihrem Zimmer im Patrizierhaus ihrer Eltern stand. Auch wenn die Kaufmänner von Lübeck gewiss fromme Leute waren und dies für Johannas Vater in besonderer Weise galt, so war eine so einfache Gebetsbank doch ein eher ungewöhnlicher Einrichtungsgegenstand in den herrschaftlichen Häusern jener Fernhändler, die durch den Ostseehandel so reich geworden waren, dass manch ein Adeliger sie beneidete.
    »Johanna! Marzipan, so viel, wie du noch nie auf einmal gesehen hast!«
    Die junge Frau beendete ihr Gebet und bekreuzigte sich. Dann blickte sie zur halb geöffneten Tür. Ihre Schwester Grete stand dort, drei Jahre älter als Johanna und im Gegensatz zu ihr in standesgemäße Pracht gewandet. Das mit Brokat besetzte Kleid reichte bis zum Boden. Der Pelzbesatz am Kragen war genau so breit, wie er gemäß den in Lübeck geltenden Bestimmungen für eine Frau ihres Standes sein durfte. Die Kette mit dem fein gearbeiteten goldenen Kreuz konnte niemand übersehen.
    Johanna erhob sich ohne ein äußeres Zeichen der Eile. Das brünette Haar war zu einem einfachen Zopf geflochten. Wenn sie erst einmal ins Kloster eingetreten war, wie sie es sich vorgenommen hatte, würde sie diese Haarpracht einbüßen. Sie konnte sich an den Gedanken zwar nur schwer gewöhnen, aber ihr Entschluss stand seit langem fest. Als kleines Mädchen war sie an der Pest erkrankt – und hatte entgegen allen Erwartungen überlebt. Gott hatte sie gerettet, obwohl sie sich das meist tödliche Übel eingefangen hatte, das mit den Ratten von den Schiffen immer wieder nach Lübeck gekommen war. Grund genug, dem Herrn dankbar zu sein. Damals hatte Johanna sich geschworen, ihr Leben Jesus zu widmen. Ein Leben, das ihr vom Gefühl her eigentlich schon gar nicht mehr gehört hatte. Immer noch stand ihr das entsetzte Gesicht ihrer Mutter vor Augen, als man auf die ersten Beulen bei Johanna aufmerksam geworden war, die sich unter den Achselhöhlen gebildet hatten. Ihre Mutter war der Seuche erlegen – wie so viele andere. Aber wie durch ein Wunder hatte der Tod Johanna verschont. Wie ein einsamer Halm, den die Sense des Schnitters stehen gelassen hatte. Es mussten die Gebete gewesen sein, mit denen sie damals den Herrn Jesus darum angefleht hatte, weiterleben zu dürfen. Die Ärzte hatten sie längst aufgegeben, und der Priester, der bei ihr schon die Letzte Ölung durchgeführt hatte, war ebenso von der Pest dahingerafft worden, die Lübeck innerhalb der letzten zwanzig Jahre gleich mehrfach heimgesucht hatte. So furchtbar in all ihrer unaussprechlichen Grausamkeit war diese Geißel Gottes gewesen, dass in jenen Jahren nicht wenige den Herrn schließlich selbst verflucht und sich von ihm abgewandt hatten. Bei Johanna war das Gegenteil geschehen. Tiefe Dankbarkeit erfüllte sie seitdem – und das Bedürfnis, ihr Leben dem zu widmen, der es ihr geschenkt hatte.
    »Nun komm schon«, lachte Grete. »Und sieh mich nicht so an, als hätte ich dich bei einer heiligen Handlung gestört, Schwester!«
    »Ist die Zwiesprache mit unserem Herrn etwa keine heilige Sache?«, gab Johanna zurück.
    Grete lächelte. »Bei jedem anderen Menschen mag das zutreffen.«
    »Und bei mir nicht?«
    »Johanna! Du hältst so oft Zwiesprache mit dem Herrn, wie du mit mir oder Vater redest.«
    »Ja, und?«
    »Was soll daran noch heilig sein? Dich dabei nicht zu unterbrechen hieße ja, dich gar nicht mehr ansprechen zu können. Und nun komm schon und genieße, was es so schnell nicht wieder zu genießen gibt.«
    »In der Bibel steht …«
    »Bist du eine arme Sünderin, die so viel Unzucht getrieben hat wie die angemalten Huren beim städtischen Frauenwirt und dafür eigentlich den ganzen Rest ihres Lebens in grauen Büßerhemden herumlaufen und sich Asche auf das Haupt streuen müssten? Davon kann bei dir ja wohl keine Rede sein! Und ich wüsste auch nicht, dass Jesus irgendwann gesagt hast, du sollst keine Freude haben.«
    »Grete, was redest du da alles?«
    Grete nahm Johanna bei der Hand und zog sie mit sich.
    Und Johanna folgte ihr. Sie gingen durch den breiten, hohen Flur. Eine Freitreppe führte hinab in die große Empfangsdiele. Schon so manches Festmahl hatte in diesem hohen hallenartigen Raum stattgefunden – für die Mitglieder der

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