Julia Extra Band 357
sie es nicht getan haben.“
Cass nickte benommen.
„Du siehst aus, als könntest du eine heiße Dusche gebrauchen. Ich mache dir inzwischen einen Tee.“
„Ich … Ja, das ist eine gute Idee.“ Ihr Blick irrlichterte durch den Raum, zu Neo, zu dem Spiegel an der Wand. Abrupt wandte sie sich ab. Sie sah aus wie ein Wrack, ungekämmt, bleich, mit einem gehetzten Ausdruck in den Augen. Schweißflecke prangten auf ihrer Bluse. Sie brauchte mehr als nur eine Dusche, sie brauchte eine komplette Verwandlung. Aber sie würde sich mit heißen Wasserstrahlen und frischem Tee zufriedengeben müssen.
„Kommst du allein zurecht?“, fragte Neo.
„Ja, sicher.“ Sie war entsetzt, dass er sie so gesehen hatte. Sie hätte ihn nie gebeten, bei ihr zu bleiben, und wenn es sie ihren Flügel gekostet hätte.
Erst nach der heißen Dusche wunderte Cass sich darüber, wie Neo ins Haus gekommen war. Sie würde wohl keine Antwort auf ihre Frage bekommen, bis sie nach unten in die Küche gegangen war. Also rubbelte sie sich das Haar so trocken wie möglich, kämmte sich, zog frische Sachen an und ging nach unten.
Neo erwartete sie bereits. Er war allein und deutete auf den dampfenden Becher auf dem Küchentisch. „Trink das.“
Sie setzte sich, nippte und verzog sofort den Mund. „Ist dir die Zuckerdose ausgerutscht?“
„Süßer Tee wirkt gegen Schock.“
„Du sagst das mit solcher Überzeugung.“
„Ich habe meine Assistentin angerufen. Sie hat nachgesehen.“
Cass lachte auf, sie konnte nicht anders. „Ich wette, das hat ihr diebischen Spaß gemacht.“ Neo zuckte nur mit den Schultern. „Wie bist du ins Haus gekommen?“, fragte sie.
„Dein Manager Bob hat mich reingelassen. Er hat wohl einen Schlüssel.“
„Ich weiß noch, dass er gekommen ist.“ Aber sie hatte sich geweigert, ihm die Tür zu öffnen, weil sie dachte, er wollte sie dazu überreden, der Presse ein Interview zu geben.
„Als ich ankam, stand nur noch ein Sendewagen vor der Tür.“
„Wieso bist du hier?“
„Du hast auf meine Voicemail gesprochen.“
„Angeblich warst du doch gar nicht in der Stadt.“
„War ich auch nicht.“
Er war zurückgekommen, um ihr zu helfen? Sie hatte Schwierigkeiten, das zu glauben, aber sie war auf jeden Fall froh, dass er hier war. Ein Blick auf die Digitaluhr der Mikrowelle sagte ihr, dass es bereits später Nachmittag war.
Kein Wunder, dass ihre Muskeln so verkrampft waren. Über acht Stunden hatte sie zusammengekauert hinter der Badewanne gesessen. „Ich komme mir vor wie ein Idiot.“
„Du bist kein Idiot.“
Sie schnaubte und nippte an dem viel zu süßen Tee.
Neo setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. „Du bekommst lähmende Panikattacken, wenn du vor Publikum auftreten sollst.“
„Heute hat niemand von mir verlangt, dass ich auftrete.“
„Das verlangen die Paparazzi jedes Mal, wenn sie sich in unser Leben drängen. Sie verlangen, dass wir die richtige Inszenierung spielen, damit sie ihre Leserschaft mit dem neuesten Klatsch bedienen können.“
„Glaubst du, Bob hat etwas über deine Klavierstunden an die Presse weitergegeben?“ Auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, dass Klavierunterricht für eine solche Aufregung wie heute Morgen sorgen würde.
Neo griff hinter sich nach einer Zeitung, legte sie aufgeschlagen vor Cass auf den Tisch. Die Seite zeigte ein Foto von Neo, wie er das Haus betrat, aufgenommen offensichtlich mit einem Teleobjektiv. „Sie glauben, hier geht etwas viel Pikanteres vor sich als Klavierstunden. Sie halten dich für meine neueste Gespielin.“
Cass schauderte – nicht vor dem Gedanken, seine Gespielin zu sein, sondern bei der Vorstellung, wegen eines Missverständnisses von der Presse gejagt zu werden.
„Dass ich unsere Treffen geheim gehalten habe, gab Grund für die wildesten Spekulationen. Dafür muss ich mich entschuldigen.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe meinen Pressemanager angewiesen, eine Erklärung abzugeben. Dennoch fürchte ich, dass es dauern wird, bis sich alles wieder beruhigt hat.“
„Das ist schon in Ordnung. Ich habe überreagiert.“
„Die meisten Menschen wären wohl fassungslos, wenn plötzlich eine Reportermeute vor ihrem Haus auftaucht.“
„Und auf meinem Balkon. Jemand hat versucht, über den Balkon in mein Schlafzimmer zu kommen.“
Neo verzog wütend die Miene. „Das ist doch das Allerletzte!“
„Stimmt. Ich hatte fürchterliche Angst.“ Dabei wusste sie durch ihre Phobie vor Menschenmengen gar
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