Julia Extra Band 358
potenziellen Ehemann einstuften. Doch er hatte nicht die Absicht, jemals vor den Traualtar zu treten.
Sein Kiefer verkrampfte sich bei diesem Gedanken. Eine Ehe oder überhaupt eine engere Beziehung zu einem anderen Menschen bedeutete, ein Stück von sich selbst wegzugeben. Es bedeutete daher auch, dieses Stück von sich irgendwann auf schmerzhafte Weise verlieren zu können.
Doch eigentlich war die Sache nicht so eindeutig, denn in seiner Brust wohnten zwei Seelen, was wohl seiner multikulturellen Herkunft zu verdanken war. Neben dem modernen, ehrgeizigen Russen lebte in ihm der Wüstenkrieger, dessen althergebrachter Moralkodex und archaischer Glaube in der heutigen Welt fehl am Platze waren.
Aber wozu sollte er auch heiraten? Das war völlig überflüssig. Nachdem seine Halbschwester Alena neuerdings mit einem russischen Geschäftsmann verheiratet war, konnte man davon ausgehen, dass die beiden ihre Beziehung irgendwann mit gemeinsamen Kindern krönten. Damit wäre für den Nachwuchs gesorgt, der zukünftig im Familienunternehmen arbeiten und dieses schließlich übernehmen konnte.
Es gab neben ihrem Geschlecht noch einen weiteren Grund, warum Vasilii sich sträubte, Laura Westcotte einzustellen. Gewiss, ihr Lebenslauf war eindrucksvoll. Doch seine eigene Recherche und einige Gespräche mit seiner Halbschwester Alena hatten ihn davon überzeugt, dass es Laura an Verantwortungsbewusstsein und Gradlinigkeit mangelte. Man konnte ihr nicht vertrauen. Kurz gesagt, ihre Vorstellung von Moral ließ deutlich zu wünschen übrig. Unglücklicherweise gab es zurzeit keinen anderen Bewerber für die Stelle, und Vasilii lief die Zeit davon. Laura erfüllte alle Kriterien und kannte sich bestens mit den Gepflogenheiten der Geschäftswelt und der chinesischen Kultur aus. Es blieb ihm also kaum eine andere Wahl, als ihr den Job anzubieten.
Bestimmt ist der rasante Fahrstuhl schuld am flauen Gefühl in meinem Magen, überlegte Laura und zählte die Stockwerke, bis sie endlich auf Vasiliis Etage aussteigen konnte.
Sie sollte sich wirklich ausschließlich auf diesen wichtigen Job konzentrieren und alle Gedanken an alte Schwärmereien beiseitelassen. Nach allem, was Laura über Vasilii und seine sachliche Art, Geschäfte zu machen, wusste, hatte er sicherlich wenig Verständnis für Nervosität oder Aufregung bei seinen Mitmenschen.
Laura wurde durch zwei gesicherte Türen geführt, bevor ein tonloses, britisch akzentuiertes „Herein!“ durch die geöffnete Flügeltür drang, hinter der sich Vasiliis Arbeitszimmer verbarg.
Welch warmherziger Empfang, dachte sie sarkastisch und betrat das großräumige Zimmer. Sofort galt ihre gesamte Aufmerksamkeit dem Mann, der mit verschränkten Armen am Fenster stand.
Wie sie selbst trug er Businesskleidung, einen dunklen Anzug. Sein ebenfalls dunkles Haar berührte nur leicht den Kragen seines strahlend weißen Hemds. Auf den gebräunten Händen war kein einziger Ring zu erkennen. Den Kopf hatte er leicht zur Seite geneigt, sodass das Tageslicht von hinten seine scharfen Gesichtszüge betonte.
Das Flattern in ihrem Magen verwandelte sich in prickelnde Erregung. Das Bild, das sie sich damals zurechtgelegt und seither gepflegt hatte, erschien ihr mit einem Mal in neuem Licht. Damals war Vasilii aufregend und toll gewesen, aber heute war er absolut atemberaubend!
In ihrem Inneren schrillte eine Alarmglocke. Sie sollte am besten sofort die Flucht ergreifen. Doch da gab es einen entschlossenen Teil in Laura, der ihre zuflüsterte, sich nicht einschüchtern zu lassen. Vasilii mochte ein Mann sein, der ihre Fantasie und ihre Nerven anregte, aber das war noch lange kein Grund, klein beizugeben. Vermutlich handelte es sich lediglich um einen Rest Teenagerschwärmerei, der sich schon bald verflüchtigen würde.
Das Bewerbungsfoto wurde Laura ganz und gar nicht gerecht, wie Vasilii widerwillig eingestand. Ihr herzförmiges Gesicht kam nicht richtig zur Geltung, genauso wenig ihre geschmeidige Figur. Leider hatte er im Internet nicht viel über sie herausfinden können. Keine peinlichen Partyfotos und keine despektierlichen Berichte. Aber darauf war er auch nicht angewiesen. Man hatte ihm schließlich längst offenbart, mit was für einer Person er es zu tun hatte. Nämlich mit der Art von Mensch, die er normalerweise tunlichst mied.
Äußerlich mochte sie sehr attraktiv sein, und ganz sicher wusste sie sich vorteilhaft zu kleiden, aber ihm war klar, wie sie tickte. Und falls er sich durch
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