Julia Extra Band 358
Vasilii Demidov geforscht hatte. Zum Glück steckten die großen sozialen Netzwerke zu dem Zeitpunkt noch in den Kinderschuhen, sonst hätte sich Laura bestimmt vor aller Welt lächerlich gemacht. Schlimm genug, dass sie sich später ein Foto von ihm besorgt hatte, um still und heimlich vor sich hin zu träumen.
Vasilii war ihr vor die Linse gelaufen, als er an einem Freitagnachmittag seine Halbschwester in der Schule besuchte. Mit zitternden Fingern hatte sich Laura an ihre Kamera geklammert und heimlich ihr Foto geschossen, während er mit langen Schritten auf seine Schwester zuging, die bereits auf ihn wartete.
Sein Körper war kraftvoll und muskulös gewesen, genau wie seine Bewegungen. In seiner dunklen Jeans und dem schwarzen T-Shirt hatte Vasilii unglaublich lässig gewirkt, und Laura war unwillkürlich auf ziemlich verwegene Gedanken gekommen. Ein echtes Wunder, dass sie das Bild nicht bis zur Unkenntlichkeit verwackelt hatte.
Sorgfältig verwahrt am heiligsten Ort ihrer Jugend, dem Geheimfach in der Schmuckschatulle ihrer Mutter, blieb das Foto stets vor neugierigen Blicken verborgen. Die Schatulle, der der schwache Duft ihrer Mutter anhaftete, besaß Laura immer noch. Und das Foto?
Nun benahm sie sich aber wirklich lächerlich. Damals war das noch verzeihlich gewesen, denn in dem Alter gehörte unrealistische Schwärmerei aus der Ferne für Mädchen zum Alltag.
Laura hatte Hunderte Male darüber fantasiert, wie sie sich begegneten, hatte im Geiste romantische Situationen mit ihm erlebt – und noch so einiges mehr, das dem hormonüberladenen Verstand einer Halbwüchsigen entsprang. In ihrer Vorstellung war es sogar ein Zeichen des Schicksals gewesen, dass sie beide ihre Mütter verloren hatten. Diese Erfahrung hatte ein unsichtbares Band zwischen ihnen gewoben …
Dabei waren sie einander nie richtig vorgestellt worden, geschweige denn hatten sie jemals persönlich miteinander geredet. So blieben nur die endlosen Tagträume und das Verlangen nach dem Unbekannten, die ihr von Zeit zu Zeit sogar ein wenig Angst machten.
Das war mittlerweile alles längst vorbei, nur die Gegenwart zählte. Sie hatte sich gerade mehrmals seinen Namen durch den Kopf gehen lassen, ohne dabei Herzklopfen zu bekommen oder an ihrem eigenen Atem zu ersticken – das war doch der Beweis, oder?
Nein, ich bin keine vierzehn mehr, sagte sie sich. Wie um sich dessen zu versichern, warf sie einen Blick in die nächstbeste Schaufensterscheibe, aus der sie das Antlitz einer selbstbewussten vierundzwanzigjährigen Frau anblickte. Das brünette Haar fiel ordentlich frisiert über ihre Schultern, und die blauen Augen leuchteten in dem keltisch blassen Gesicht wie blaue Edelsteine. Die vollen Lippen waren nur dezent geschminkt. Insgesamt wirkte sie wie eine Karrierefrau auf dem Weg zu einem vielversprechenden Vorstellungsgespräch.
Vasilii Demidov konnte es wohl kaum gelungen sein, in wenigen Minuten das naive Mädchen in ihr erneut zum Leben zu erwecken? Anstatt über die Vergangenheit zu grübeln, sollte sie sich besser auf ihre Zukunftspläne konzentrieren. Ihr war bereits ein guter Job durch die Lappen gegangen, sollte sich das wiederholen, wäre das ihrer Karriere nicht gerade zuträglich.
Laura machte sich keine Illusionen. Sie wusste genau, warum sie den letzten Vertrag nicht bekommen hatte, der ihr mündlich zugesichert worden war. Der neue Geschäftsführer jener Firma hatte keine Zweifel daran aufkommen lassen. Wenn sie daran zurückdachte, befiel sie sofort wieder ein schmerzhaftes Gefühl der Demütigung.
Oh ja, sie brauchte diese Stelle unbedingt! Sechs Wochen als Aushilfssekretärin für Vasilii Demidov und zudem mit einer atemberaubenden Bezahlung – mehr als das Doppelte ihres letzten Gehalts. Obendrein würde diese Anstellung Lauras Lebenslauf entschieden aufwerten und endlich die berufliche Talfahrt für sie beenden.
Wieder hatte Laura im Internet alles Mögliche über Vasilii recherchiert. Dieses Mal, um sich optimal auf ihr Bewerbungsgespräch vorzubereiten, wie es sich für eine ernst zu nehmende Bewerberin gehörte. Nach dem Tod seines Vaters hatte Vasilii dessen bescheidene Firma zu einem multinationalen Konzern ausgebaut. Zwar war der Hauptsitz seiner Firma in Zürich angesiedelt, doch Vasilii selbst hielt es nie lange an einem Ort. Er lebte als sprichwörtlicher Nomade ganz in der Tradition seiner Vorfahren mütterlicherseits, die einst mit Kamelen durch die Wüste gezogen waren.
Im Gegensatz zu so
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