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Julia Festival 94

Julia Festival 94

Titel: Julia Festival 94 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Graham
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militärische Spezialeinheit einzusetzen und dadurch einen diplomatischen Skandal auszulösen.
    Frederica Sutton, die seit ihrem achten Lebensjahr auf eigenen Wunsch Freddy genannt wurde, schob den Brief über den Tisch, an dem ihr eine ältere grauhaarige Frau gegenübersaß. „Er kommt aus der Schweiz. Was soll ich jetzt bloß tun?“
    Ruth Coulter setzte ihre Brille auf und sah dadurch noch mehr wie eine pensionierte Lehrerin aus. „Das war’s dann“, erklärte sie, nachdem sie die wenigen Zeilen überflogen hatte. „Du hast alle Möglichkeiten ausgeschöpft …“
    „Die einzige Möglichkeit.“ Freddys einziger Anhaltspunkt war der Kontoauszug einer Schweizer Bank gewesen, von der Erica ihr großzügiges monatliches Einkommen bezog. Sie hatte an die Bank geschrieben und die Umstände genau erklärt, und nun war diese unbefriedigende Antwort gekommen. Die Bitte, ihr doch die Person zu nennen, die dieses finanzielle Abkommen mit ihrer Cousine getroffen habe, war rundweg abgelehnt worden. Jeder Bankkunde, hieß es, habe höchsten Anspruch auf Vertraulichkeit, und weitere Versuche von ihrer oder anderer Seite, dieses Prinzip zu untergraben, würden erfolglos sein.
    „Du kannst nichts dafür, dass Bens Vater die Möglichkeit einer späteren Kontaktaufnahme ausgeschlossen hat“, fuhr Ruth nachdenklich fort. „Offenbar wollte er klarstellen, dass er unter keinen Umständen und zu keiner Zeit mit der Angelegenheit behelligt werden dürfe. Wer konnte auch ahnen, dass Erica so jung sterben würde?“
    Freddys dunkelblaue Augen bekamen einen traurigen Ausdruck, und sie senkte den blonden Kopf, um ihre Rührung zu verbergen. Ihre Cousine war erst siebenundzwanzig gewesen, als sie bei einem Unfall auf der Skipiste den Tod gefunden hatte. Der Unfall wäre vermeidbar gewesen, aber Erica war so gestorben, wie sie gelebt hatte – als könnte jeder Tag ihr letzter sein.
    „Ich weiß, wie sehr dir Erica fehlt.“ Ruth drückte kurz Freddys Hand. „Aber inzwischen sind sechs Wochen vergangen, und das Leben geht weiter, vor allem für Ben. Wahrscheinlich wirst du nie erfahren, wer sein Vater ist, aber dafür solltest du eher dankbar sein. Deine Cousine hat sich ihre Freunde nicht sehr sorgfältig ausgesucht.“
    „Sie wollte versuchen, sich zu ändern“, protestierte Freddy.
    „Wirklich?“ Ruth zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. „Wie auch immer … über Tote soll man nichts Schlechtes sagen. Man ist geneigt, sie in freundlicher Erinnerung zu behalten, aber in diesem besonderen Fall …“
    „Ruth … bitte!“ Die nüchterne Feststellung schmerzte Freddy. „Du weißt, wie Erica als Kind gelitten hat.“
    „Ich gehöre nicht zu denen, die für moralisches Versagen bequeme Entschuldigungen erfinden. Erica hat dieses Kind nur in die Welt gesetzt, weil es finanziell von Vorteil für sie war.“ Ruth verzog das Gesicht. „Sie lebte von der Unterstützung durch Bens Vater wie von einem Lotteriegewinn, ohne das geringste Interesse für ihr Kind zu zeigen.“
    „Kurz vor ihrem Tod hat sie Ben ins Bett gebracht und ihm eine Einschlafgeschichte vorgelesen. Sie fing an, sich mit ihm zu beschäftigen …“
    „Weil du ihr andauernd zugesetzt hast. Wäre Bens Vater nicht reich genug gewesen, sich Ericas Schweigen zu erkaufen, hätte sie die Schwangerschaft abbrechen lassen. Sie wollte keine Kinder haben.“
    Freddy versuchte nicht länger, Ruth milder zu stimmen. Sie stand auf und kniete sich neben Ben, der auf dem Teppich spielte. Er hatte seine Spielzeugautos aufgebaut und bombardierte sie mit einem Flugzeug, wobei er alle möglichen Geräusche hingebungsvoll nachahmte. Da Freddy spürte, dass der Lärm ihrer Gastgeberin auf die Nerven ging, lenkte sie Bens Interesse auf ein Puzzlespiel und blieb neben ihm sitzen, bis er die Autos und das Flugzeug vergessen hatte. Er war ein besonders liebenswertes Kind, hatte dunkle Locken und große braune Augen, und Freddy hatte ihn tief ins Herz geschlossen.
    Freddy hatte bei Erica gewohnt, als Ben zu früh auf die Welt kam. Er hatte die ersten Wochen in einem Brutkasten zugebracht, und Freddy vermutete, dass Ericas Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Kind auf diesem unglücklichen Umstand beruhte. In den folgenden Monaten hatte sie alles getan, um ein Verhältnis zwischen Mutter und Kind herzustellen. Sie hatte sogar einen Psychiater zu Rate gezogen, leider ohne jeden Erfolg. Erica hatte Ben nicht mehr Interesse entgegengebracht als irgendeinem Kind auf der Straße.
    „Da du den

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