Julia Festival 94
1. KAPITEL
„Es geht um die Ehre der Familie.“ König Zafir sprach leise, während er seinen Sohn durchdringend ansah. „Du wirst Benedict nach Hause holen, damit er unter unseren Augen aufwachsen kann.“
„Bei allem schuldigen Respekt, Vater“, wandte Kronprinz Jaspar ein, „der Junge hat eine Mutter …“
„Ein Flittchen, das nicht verdient, Mutter genannt zu werden!“ König Zafir richtete sich zornig von seinen Kissen auf. „Eine schamlose Person, die die Nächte durchtanzte, während ihr Kind im Krankenhaus mit dem Tod rang. Eine gierige, habsüchtige Hexe …“ Ein Hustenanfall packte den zornigen alten Mann und ließ ihn nicht mehr zu Atem kommen.
Sofort wurden die Ärzte hereingerufen, um den König mit Sauerstoff zu versorgen. Blass und angespannt, den Blick der dunklen Augen auf seinen Vater gerichtet, dessen heftiger Ausbruch ihn überrascht hatte, stand Jaspar da und wartete darauf, dass der Anfall vorübergehen würde.
„Bitte, Königliche Hoheit“, flehte Rashad, der engste Vertraute des Königs, mit tränenfeuchtem Blick. „Zögern Sie nicht länger, und geben Sie Ihre Einwilligung.“
„Ich wusste nicht, dass mein Vater eine so starke Abneigung gegen westliche Frauen hegt.“
„Das tut Seine Majestät nicht. Haben Sie den Bericht über diese Frau gelesen?“
Jaspar bemerkte, dass die Bemühungen der Ärzte Erfolg hatten, und entspannte sich etwas. „Ich habe ihn nicht gelesen“, antwortete er und atmete tief durch.
„Ich werde den Bericht in Ihr Büro bringen, Königliche Hoheit“, sagte Rashad und eilte davon.
Auf einen Wink des Königs hin näherte Jaspar sich dem breiten Himmelbett und beugte sich hinunter, um die leisen, in fast demütig bittendem Ton gesprochenen Worte besser verstehen zu können. „Es ist deine Pflicht als Christ, meinen Enkel zu retten. Denk an unsere Vorfahren die Kreuzritter …“
Sobald die unmittelbare Gefahr vorüber war und der König wieder ruhig in seinen Kissen lag, ging Jaspar hinaus. Alle im Vorzimmer anwesenden Bedienten fielen bei seinem Erscheinen auf die Knie und beugten die Köpfe. Der Kronprinz war erst kürzlich zu königlichem Stand erhoben worden und nahm diese Respektbezeugung mit starrer Miene entgegen. Seit dem Tod seines älteren Bruders Adil, der designierter Kronprinz gewesen war, empfand er das Leben als schwere Bürde.
Eines Tages würde er König von Quamar sein, aber er war nicht zum König erzogen worden. Adils Tod hatte sein Leben von Grund auf verändert. Er hatte seinen Bruder geliebt, ohne ihm direkt nahezustehen. Adil war fünfzehn Jahre älter gewesen und hatte sich sehr von seinem jüngeren Bruder unterschieden. „Kleiner Spielverderber“, hatte er Jaspar oft scherzhaft genannt, und nun hatten die Vorliebe für opulentes Essen und dicke kubanische Zigarren dem Fünfundvierzigjährigen ein frühes Ende bereitet.
In dem prächtig ausgestatteten Büro, das jetzt ihm gehörte, blieb Jaspar nachdenklich vor dem Ölporträt seines Bruders stehen. Dieser Adil … Er war nicht nur ein absoluter Genießer, sondern auch ein unverbesserlicher Frauenheld gewesen.
„Ich verehre die Frauen“, hatte er einmal mit breitem Lächeln zu Jaspar gesagt. „Meine Ehefrau, meine Exfrauen, meine Töchter … sie alle erfreuen sich meiner Wertschätzung, aber warum sollte ich mich mit einer einzigen Frau zufrieden geben? Wenn wir Muslime wären, hätte ich vier Ehefrauen und einen ganzen Harem von Nebenfrauen haben können. Hast du je daran gedacht, wie sich unser Leben gestaltet hätte, wenn Karem I, unser verehrter Vorfahre, nicht Christ gewesen wäre?“
Sooft die Pflichten als Kronprinz ihm Zeit gelassen hatten, war Adil auf seiner Luxusjacht „Beauteous Dreamer“ im Mittelmeer unterwegs gewesen, mit einem Schwarm leichtlebiger westlicher Frauen an Bord. Beunruhigende Nachrichten von diesem Doppelleben waren gelegentlich auch bis zu König Zafir gedrungen, aber Adil hatte die Wahrheit immer geschickt verschleiert, wobei ihm seine jeweiligen Favoritinnen gern behilflich gewesen waren.
Es erschien Jaspar wie Ironie des Schicksals, dass Adils einziger Sohn nicht aus einer seiner drei Ehen, sondern aus einer Liebschaft stammte. Wäre er ehelich geboren worden, hätte er nach Jaspar Anspruch auf den Thron gehabt, was ihm jetzt verwehrt war. Jaspar seufzte tief. In seiner Generation hatte die Al-Husayn-Dynastie nur wenig Glück gehabt.
Vor fast genau zwei Jahren hatte eine Engländerin in London Adils Sohn zur Welt
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