JULIA FESTIVAL Band 78
über quälte sie kein einziger trüber Gedanke. Und sie wagte sich nicht vorzustellen, wie es ihr wohl ohne diese vitalisierende Freundschaft ergangen wäre.
Schließlich kam auch der Tag, an dem Carolyn ihren Job in Rays Firma antreten konnte. Selbstsicher und frohen Herzens, denn in dem eleganten Marineanzug, der überhaupt nicht wie Umstandsmode wirkte, musste sie sich in einem feinen Büro bestimmt nicht unbehaglich fühlen.
Als sie ihren Namen am Empfang nannte, wusste man gleich, wer sie war, und bat sie, einen Moment zu warten. Gleich darauf erschien Ray selbst, begrüßte sie herzlich und ließ es sich nicht nehmen, sie persönlich an ihren Arbeitsplatz zu führen. Die Mitarbeiterin, die sie nun eine Zeit lang vertreten sollte, war sehr freundlich und wies Carolyn ruhig und geduldig in ihre Aufgaben ein.
Abends kam Ray noch einmal zu ihr. „Na, wie ist’s gelaufen?“, fragte er lächelnd. Trotzdem wirkte er etwas nervös und besorgt.
Kein Wunder, dachte Carolyn. Schließlich hat er mir den Job ja nur gegeben, weil Marlee ihn darum gebeten hatte. „Danke, Ray“, antwortete sie zuversichtlich. „Besser, als ich erwartet habe. Ich werde es bestimmt schaffen.“
„Daran hab ich auch gar nicht gezweifelt“, winkte er ab. „Marlee hat mir gesagt, dass du alles fertigbringst, was du dir vornimmst.“
„Marlee ist bei mir sicher etwas voreingenommen“, lachte Carolyn gerührt. „Aber ich verspreche, dass ich dich nicht enttäuschen werde.“
Aus irgendeinem Grund wirkte er nach dieser Antwort noch unbehaglicher. „Du weißt doch sicher“, begann er schließlich zögernd, „dass Marlee und ich unsere Interessen im Herzen haben, nicht war? Versprich mir, dass du das nicht vergisst, Carolyn.“
„Natürlich, Ray“, antwortete sie ernst. „Ich bin euch sehr dankbar für diese Chance.“ Trotzdem wunderte sie sich über seinen merkwürdig eindringlichen Tonfall.
Er schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht. Lass uns nur wissen, wenn du irgendetwas brauchst. Marlee wäre sehr … mitgenommen, wenn du sie aus deinem Leben ausschließt.“
„Das würde ich niemals tun“, rief sie schnell aus und war erschrocken, dass er so etwas von ihr annehmen konnte.
Er nickte leicht. „Dann ist es in Ordnung“, sagte er zufrieden, aber mit einem gewissen unsicheren Unterton und verabschiedete sich.
Mit einem tiefen Stirnrunzeln ging Carolyn langsam den Korridor zum Lift entlang. Das schlechte Gewissen, Marlee unnötig aufgeregt zu haben, nagte an ihr. Hatte sie Marlees Glück nun doch getrübt? Machte sie sich Sorgen um diese ganz besondere Freundschaft, weil Carolyn sich ihr zuliebe etwas zurückgezogen hatte? Nun, ich ruf sie gleich an, wenn ich zu Hause bin, dachte sie. Dann weiß sie zumindest, wie mein erster Arbeitstag verlaufen ist.
Im Foyer des riesigen Bürogebäudes, in dem Rays Kanzlei lag, herrschte reger Feierabendbetrieb. Carolyn beeilte sich nicht. Sie genoss das seltsame, völlig neue Gefühl, schon um fünf Uhr nachmittags frei zu haben und Teil dieser allabendlichen Menschenmasse zu sein.
Als sie sich schließlich glücklich durchs Eingangsportal auf die Straße durchgearbeitet hatte, spürte sie eine leichte Bewegung ihres Babys. Sie blieb stehen, legte die Hand auf den Bauch und lächelte gedankenverloren. Erst als sie jemand im Vorbeigehen anstieß, wurde ihr bewusst, dass sie den Fußgängerstrom aufhielt.
Sie blickte auf … und genau in die Augen von Cliff Selby! Er stand direkt vor ihr … groß, stark und umwerfend männlich.
Und er schaute sie so eindringlich an, dass sie fast wieder seinem alten Zauber verfallen wäre. Fast.
Denn augenblicklich brachen auch alle Wunden wieder auf. Sie wandte sich abrupt ab und eilte die Straße hoch zur Bushaltestelle.
Schmerzhaft wurde ihr klar, weshalb Ray sich vorhin so sonderbar verhalten hatte. Er hatte sie an seinen Bruder verraten. Und Marlee? War auch Marlee damit einverstanden gewesen?
10. KAPITEL
„Carolyn!“
Sie ignorierte die harte, verzweifelte Stimme, mit der Cliff hinter ihr herrief. Sie hastete weiter der Bushaltestelle entgegen, doch er ließ sich nicht abschütteln. Im nächsten Augenblick war er schon an ihrer Seite und begleitete sie. Auch das ignorierte sie tapfer.
„Carolyn, ich möchte mit dir reden“, forderte er eindringlich.
„Es gibt nichts, was wir zu besprechen hätten“, sagte sie gleichgültig und schaute ihn noch immer nicht an.
„Dann hör wenigstens zu!“
„In unserem letzten Gespräch
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