JULIA FESTIVAL Band 78
1. KAPITEL
Zu einer vollkommenen Gartenhochzeit gehörte auch perfektes Wetter. Und laut Wettervorhersage sollte es morgen sonnig und trocken werden. Natürlich konnte die Trauung auch im Inneren des respektablen Landsitzes stattfinden. Doch die Rosenlaube, inmitten des parkähnlichen Gartens in seiner vollen Frühlingsblüte, war nun einmal sehr viel romantischer.
„Bitte“, flehte Carolyn inständig, als sie abends im Bett lag und vor Aufregung nicht einschlafen konnte, „lass es wahr werden.“ Denn wenn jemand eine romantische Traumhochzeit verdient hatte, dann war es ihre Freundin Marlee.
Sie hatten sich beide im Waisenhaus kennengelernt und waren seitdem unzertrennlich. Carolyn lächelte still in sich hinein. Dem kargen, trostlosen Leben im Kinderheim hatte sie vor acht Jahren den Rücken gekehrt. Und nun war sie hier – in diesem luxuriös ausgestatteten Gästezimmer, das jeden nur erdenklichen Komfort bot. Und Marlee würde morgen heiraten – in die Familie Harcourt, der diese edle zweistöckige Landvilla gehörte.
Ja, sie h, atten einen langen, schweren Weg hinter sich. Doch er hatte sich gelohnt. Denn jetzt, mit vierundzwanzig Jahren, schienen ihre Zukunftsträume in Erfüllung zu gehen. Es hatte sich tatsächlich als richtig erwiesen, den Beruf des Kindermädchens zu erlernen. Die Dauer der Ausbildung war nicht zu lang, die Kosten nicht zu hoch und die Arbeit mit Kindern reizvoll.
Trotzdem war es nicht leicht gewesen. Carolyn würde nie vergessen, wie mühselig sie den fürchterlichen Heim-Slang verlernt und sich auf die Etikette der feinen Gesellschaft vorbereitet hatten. Immer wieder trieb sie sich und Marlee abends dazu an, Aussprache und Benehmen der Lehrer und Erzieher zu kopieren.
Ohne dieses Handwerkszeug hätten sie niemals eine aussichtsreiche Anstellung gefunden. Und genau die strebte Carolyn mit eiserner Disziplin an. Für sich und Marlee. Um nichts auf der Welt wollte sie weiterhin das armselige Los der Unterprivilegierten teilen. Selbst wenn das bedeutete, stundenlang über Stapeln von Büchern zu brüten.
Und das harte Training hatte sich gelohnt. Gleich nach Ende ihrer Ausbildung kamen sie in sehr wohlhabende Haushalte und lernten die Seite des Lebens kennen, die ihnen sonst für immer verschlossen geblieben wäre.
Marlee hatte schließlich sogar das große Los gezogen. Seit fünf Jahren half sie Pam Harcourt bei der Erziehung der kleinen Zwillingsmädchen und wurde von Anfang an wie ein Familienmitglied behandelt. Ohne Standesdünkel. Und Ray, Pam Harcourts jüngerer Bruder, hatte sie lieben gelernt. Carolyn konnte sich keine tiefere Zuneigung vorstellen. Ein strahlendes Glück, das morgen vor dem Traualtar besiegelt werden sollte.
Und Carolyn gönnte ihr dieses märchenhafte Glück von Herzen. Ein Märchen, an dem sie selbst als Brautjungfer teilnehmen würde. Trotzdem wurde ihre Vorfreude etwas getrübt. Denn Ray hatte seinen älteren Bruder Cliff als Trauzeugen gewählt – einen Mann, den sie instinktiv fürchtete.
Cliff Selby war genau der Typ, der Frauen gefährlich werden konnte. Wohlhabend, einflussreich und wahnsinnig attraktiv. Ein Mann, der den Erfolg gewohnt und sich seiner Ausstrahlung bewusst war. Jede seiner Gesten, jeder Blick schien Frauen herauszufordern und ihnen doch gleichzeitig klar zu machen, wie unerreichbar er war.
Auch Carolyn war gegen seine Anziehungskraft machtlos. Das ärgerte sie umso mehr, als er ihr Selbstwertgefühl erheblich verletzte. Sie spürte, dass er niemals an ihr selbst interessiert wäre. Nur an ihrem Körper. Er schien Frauen zu verachten. Ein Flirt, eine Affäre. Das war alles, worum es ihm ging. Ein Spiel. Deshalb mied sie ihn ganz einfach. Doch morgen würde sie seine Nähe ertragen müssen. Freundlich und höflich.
Carolyn seufzte. Dann schloss sie die Augen und lächelte verträumt. Denn schließlich würde morgen auch Jeff da sein. Zu ihm konnte sie von Cliffs Seite fliehen, wann immer die Etikette es zuließen Ja, Jeff Southgate … Morgen war sie nur die Brautjungfer. Aber die nächste Hochzeit würde ihre eigene sein.
Sie musste sich nur noch etwas gedulden. Jeff arbeitete als Programmierer, und vor sechs Wochen hatte ihn ein Auftrag nach Perth geführt, an die Westküste Australiens. Eine Ewigkeit entfernt von Sydney, sodass selbst Telefonate mit der Zeit zu teuer wurden. Ursprünglich hatte er nur drei Wochen für seine Arbeit dort eingeplant. Doch durch irgendwelche Ungereimtheiten lief die Computeranlage noch nicht
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