JULIA FESTIVAL Band 78
Zukunft. Mit ihrem Kind.
Am Abend traf Carolyn zum ersten Mal ihre neuen Nachbarn, drei Mädchen, die ungefähr in ihrem Alter waren und kurz vor dem Abschluss ihres Studiums standen. Sie erzählten fröhlich von ihren Plänen und Zukunftshoffnungen und schienen das Gleiche von Carolyn zu erwarten. Doch sie erwähnte nur knapp ihren neuen Job in einer Steuerkanzlei, womit sie jegliches weitere Interesse sofort unterband.
Eines der Mädchen, Kate Reid, sprühte förmlich vor Lebensfreude und war erfrischend unkompliziert. Sie hatte einen wirren roten Haarschopf und lustige hellbraune, sehr intelligente Augen. „Ich bin im letzen Semester an der Kunsthochschule, Modedesign“, erzählte sie.
„Und ist seit Jahren kurz davor, entdeckt zu werden und in den Reihen der berühmtesten Modeschöpfer zu stehen“, warf eines der anderen Mädchen lachend dazwischen. „Nicht wahr, Kate?“
„Lach nur“, murrte Kate gutmütig. „Ich werde an dich denken, wenn ich meine große Zeit habe und du dir die Kleider meiner Kollektion ganz sicher nicht leisten kannst.“
Vor Carolyns Augen erschienen sofort Bilder der Kleider, die Paula Michaelson für sie entworfen hatte. Doch nur flüchtig, denn sie verdrängte sie gleich wieder energisch. Die Vergangenheit war abgeschlossen. Und als Kate ihr anbot, sich ihre Zeichnungen anzuschauen, stimmte sie spontan zu.
Genauso wie sie Kate vom ersten Augenblick an gemocht hatte, fühlte sie sich auch in ihrem Zimmer gleich wohl. Kate hatte es tatsächlich geschafft, den trüben Standardcharakter dieser Appartements zu vertreiben. Ihre eigenen Vorhänge und Möbelbezüge bewiesen, dass sie ein sehr gutes Auge für Farben und Stoffe hatte. Eine Nähmaschine und Aktenberge von Entwürfen auf dem Tisch zeigten, wie ernst sie ihre Arbeit nahm.
„Du bist wirklich sehr talentiert“, rief Carolyn ehrlich erstaunt aus, als sie die Skizzen durchsah.
„Talent wohl“, lächelte Kate wehmütig. „Aber leider kein Kapital, um ein eigenes Studio zu finanzieren. Aber warte es nur ab. Schließlich habe ich es schon von der Gosse bis hierher geschafft. Und eines Tages werde ich an der Spitze sein!“
Es stellte sich heraus, dass Kate eine ähnlich arme und unterprivilegierte Herkunft hatte wie Carolyn. Und schon bald erzählten sie sich mitfühlend und verständnisvoll ihre Lebensgeschichten. Als Carolyn schließlich gestand, dass sie im vierten Monat schwanger war, umarmte Kate sie spontan.
„Und ich nehme an, dass der Vater nichts von dem Kind wissen will“, erkannte sie, obwohl Carolyn nichts von Cliff erwähnt hatte. „Wie mein Vater auch. Das Vergnügen nehmen, die Qual lassen.“ Sie saßen eine Weile schweigend da, als Kates Gesicht sich plötzlich erhellte. „Weißt du was?“, rief sie begeistert. „Ich schneidere dir ein paar Umstandskleider. Und ich versicher dir, dass niemand deinen Zustand bemerken wird. Lass uns gleich am Wochenende die Stoffe kaufen. Das spart dir ein Vermögen.“
„Aber Kate, ich kann doch nicht …“ Ihr Blick auf die Nähmaschine verriet ihre Gedanken, bevor sie sie aussprach.
„Keine Sorge. Ich habe alles im Nu zusammengeflickt. Ich bin ein wahrer Blitz auf dieser Maschine“, lachte Kate mit einer Portion Selbstironie.
„Nur, wenn ich dich bezahlen darf“, wandte Carolyn noch immer skeptisch ein.
„Kannst du kochen?“, fragte Kate unvermittelt.
„Ja, aber …“, stotterte Carolyn verwirrt.
„Prima. Ich liebe nämlich gute Hausmannskost, kann aber nicht kochen. Also … jeden Abend ein anständiges Essen, und du hast mich engagiert.“
„Nein, das ist doch zu wenig …“, protestierte Carolyn noch einmal schwach.
„Keine Diskussion. Ich kann dann auch gleich Erfahrungen sammeln. Vielleicht spezialisiere ich mich mit dieser ersten Kollektion gleich ganz auf Umstandsmode. Du wirst ein tolles Modell, Carolyn. Die Fotografen werden hier Schlange stehen, nur um ein Foto von ‚Schwangerschaft in voller Blüte‘ zu ergattern. Abgemacht?“
Carolyn lachte völlig überrumpelt. „Abgemacht. Und danke, Kate …“
Kate schnitt eine Grimasse. „Es gibt eben nur zwei Sachen, denen ich nicht widerstehen kann: Bewunderung und gutes Essen.“
Die Bekanntschaft mit Kate erwies sich als wahrer Glücksfall für den Start in ein neues Leben. Die Zeit, die sie nicht für ihren Geschäftskursus aufwenden musste, wurde lückenlos vom Kreieren reizvoller Dinners und anregenden Gesprächen über die Kunst des Modedesigns gefüllt. Die ganze Woche
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