Julia Gold Band 0045
Das jedenfalls erklärte sein widersprüchliches Verhalten. Möglicherweise fühlte Caroline sich deshalb mit Kaifar verbunden. Hatte seine Familie etwa auch Pech gehabt? „Wann ist er gestorben?“
„Vor elf Jahren. Möge er in Frieden ruhen.“
„Lebt Ihre Mutter noch?“
„Meine Mutter, ja. Sie war jünger als mein Vater und erfreut sich guter Gesundheit.“
„Wo lebt sie denn?“
Er hielt vor einer Ampel und beobachtete sie im Rückspiegel. „Meine Mutter lebt in meinem Haus, das meinem Vater gehört hat. Ihre Eltern leben auch bei Ihnen?“
„Ich wohne bei ihnen.“ Plötzlich berichtete sie ihm von dem Unglück ihrer Familie. Sie wusste nicht, ob er verstand, was sie ihm vom Aktienmarkt schilderte, aber er stellte keine Fragen. „Das Haus war das Einzige, was meinem Vater geblieben ist, weil es schon seit Generationen der Familie gehört. Aber ohne mein Gehalt könnten sie dort nicht bleiben.“
Zu ihrer Überraschung runzelte Kaifar die Stirn. „Soll das heißen, Ihre Eltern wohnen immer noch in einem großen Haus, das eigentlich reichen Leuten vorbehalten ist, nachdem sie finanziell ruiniert waren? Und Ihr Gehalt ermöglicht ihnen das? Sie haben Ihre Ausbildung geopfert, damit Ihr Vater und Ihre Mutter sich nicht mit den Tatsachen des Lebens auseinandersetzen müssen?“
Er klang überrascht, fast verärgert. In diesem Moment dachte sie, dass sie einen Mann wie ihn nicht zum Feind haben wollte. „So wie Sie das sagen, klingt es lachhaft.“
„Schlimmer als lachhaft. Sie sind Ihren Eltern gegenüber verpflichtet, aber dass Ihre Eltern das in dieser Weise ausnutzen, ist ungerecht. Schließlich würden sie nicht verhungern, nicht mal Hunger leiden, sondern nur ihren Lebensstil bescheidener gestalten müssen.“
Natürlich verteidigte Caroline ihre Eltern sofort. „Sie haben es nicht von mir verlangt“, erwiderte sie und blendete bewusst jenen Moment aus, als sie ein wesentlich größeres Opfer von ihr gefordert hatten. „Wenn sie umgezogen wären, hätten sie sämtliche Freunde verloren, und sie haben ihr ganzes Leben dort gewohnt.“
„Ihre Freunde hätten sie in einer anderen Umgebung nicht mehr besucht? Was für Freunde können denn das sein?“
Lächelnd schüttelte Caroline den Kopf. Wie sollte sie ihm die Gesellschaftsschicht schildern, der ihre Eltern angehörten? „Das verstehen Sie nicht.“
Sie sprach zwar in ruhigem Ton, aber sie fühlte sich tief erschüttert. Was würde er sagen, wenn er die volle Wahrheit wüsste, dass sie David heiraten sollte, damit das Wohl der Familie auch in Zukunft gesichert war?
Eigentlich hatte Caroline eine andere Meinung bei ihm vermutet, da er aus einer weniger individualistischen Gesellschaft stammte, die sich nicht so um die Rechte der Frauen kümmerte und dem Alter gegenüber respektvoller war.
Als hätte er ihre Gedanken erraten, erklärte er: „Ich verstehe sehr wohl, dass ein Mann ein Mann bleiben muss!“
Darauf vermochte sie nichts zu erwidern, und ein paar Minuten lang herrschte Schweigen. Kaifar steuerte den Wagen durch den geschäftigen Morgenverkehr. Offenbar befanden sie sich in der Nähe eines großen Marktes. Die Leute transportierten eine Menge verschiedener Waren in alten Autos, auf überladenen Fahrrädern, auf Karren, mit Koffern und Taschen, auf ihrem Rücken und auf Maultieren. Fasziniert von den Farben und dem Lärm, schaute Caroline ihnen zu.
Kaifar riss sie aus ihren Betrachtungen. „Was für eine Arbeit machen Sie denn?“, fragte er.
„Ich bin Verkäuferin in einer Modeboutique“, erwiderte sie. Es war nicht der Beruf, den sie sich freiwillig ausgesucht hätte, aber wie sich herausgestellt hatte, war sie gut darin. Durch Provisionen verdiente sie mehr, als sie bei leichter Bürotätigkeit hätte erzielen können. Und da sie schlank war, erhielt sie ein paar wunderbare Kleidungsstücke zu sehr günstigen Preisen. „Manche meiner ehemaligen Freundinnen sind gute Kundinnen.“ Das war eine Tatsache, die diese mehr genossen als Caroline.
„Ihr Vater hat sein Geld verloren, Sie aber nicht Ihre Schönheit“, erklärte Kaifar.
Caroline seufzte. Sich mit Kaifar zu unterhalten, war eine Erleichterung. Vielleicht lag es daran, dass er ein Fremder war, dem sie vermutlich nie wieder begegnen würde. Und doch kam er ihr nicht wie ein Fremder vor, sondern wie jemand, auf den sie gewartet hatte. Sie ahnte, dass dies ein gefährlicher Gedanke war, und verdrängte ihn, ehe er Raum gewann.
Caroline griff nach einem
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