Julia Gold Band 0045
die Rezeption. Der Nachtportier unterhielt sich mit einem Mann, der im Sessel saß und den Caroline für einen Wachmann hielt. Er richtete sich bei ihrem Erscheinen erstaunt auf, während der Nachtportier so tat, als könne ihn nichts erschüttern.
„Guten …“ Er musterte ihr Kleid und entschied sich rasch. „… Abend, Madame.“
„Guten Abend. Ich möchte gern, dass diese Briefe gleich mit der ersten Post weggehen. Haben Sie Briefmarken?“
„Sicher, Madame. Mit Luftpost?“
Der Vorgang dauerte nur ein paar Minuten. Sie bezahlte die Briefmarken und klebte sie auf die Briefe. „Wann wird die Post abgeholt?“
Er sprach mit dem Wachmann auf Arabisch und antwortete dann: „Um sechs Uhr, Madame.“
Da würde sie kaum mehr ihre Meinung ändern können. Caroline atmete tief durch und gab die Briefe ab. „Sorgen Sie bitte dafür, dass sie weggehen.“
Er nickte, sagte aber nichts dazu. „Guten Abend, Madame.“
Als sie den Aufzug betrat, stand der Wachmann auf. Sie sah ihn durch den Spalt der sich schließenden Türen und runzelte nachdenklich die Stirn. Den Wachmann hatte sie bereits gesehen. Nicht hier im Hotel. Aber wo dann?
8. KAPITEL
Caroline schlief fast zwei Stunden, dann weckte sie das hartnäckige Zwitschern eines Vogels. Sie stand auf und ging zum Frühstück ins Hotelrestaurant. Einerseits war sie müde, weil sie zu wenig geschlafen hatte, und zum anderen fühlte sie sich nach der Seelenforschung, die sie betrieben hatte, ziemlich erschöpft.
Wie lange würden die Briefe brauchen, um nach Hause zu gelangen? Hoffentlich würden sie vor ihrer Rückkehr eintreffen.
Der Gedanke, Kaifar in ihrem befreiten Zustand zu begegnen, machte sie nervös. Sie hatte keine Telefonnummer, unter der sie ihn erreichen konnte. Er würde wie gewöhnlich um zehn ins Hotel kommen. Gegen halb zehn zog Caroline ein Baumwollkleid über ihren Bikini und steckte sich ein Buch in ihre Strandtasche. Als sie an der Rezeption eine Notiz für Kaifar abgeben wollte, dass er sich den Tag freinehmen könnte, klopfte ihr Herz bis zum Hals.
Sie hatte ihren Ring in den Safe gelegt, den jeder Gast bekommen hatte, und sich Sonnenschutzlotion sowie ein paar andere Artikel in dem Geschäft des Hotels besorgt. Sie wollte den Tag allein verbringen und ihre soeben gewonnene Freiheit genießen.
Am Strand vor dem Hotel stieß sie auf eine Bucht mit einem Swimmingpool, einem Springbrunnen, Liegestühlen, Sonnenschirmen und Grünpflanzen, zwischen denen sich bereits ein paar der Hotelgäste aufhielten. Caroline ging an ihnen vorbei und schlenderte bis an den Rand des Ufers. Zu ihrer Linken befanden sich ein paar kleinere Hotels, und etliche Kilometer landeinwärts sah sie die Türme der Stadt. Zu ihrer Rechten verlief die Bucht in einer Biegung bis zum Horizont und verschwand aus ihrem Blickfeld. Weitere Gebäude waren nicht zu sehen, aber hier und dort deutete das reflektierte Sonnenlicht auf Häuser hin, die versteckt zwischen den Bäumen lagen.
In diese Richtung wandte Caroline sich, ging barfuß durch das Wasser, während die Wellen schäumend ihre Füße umspülten. Die Sonne war bereits heiß und der Himmel tiefblau. An dem Strand vor ihr war niemand zu sehen. Das war im abseits gelegenen Westbarakat nur der Fall, weil es noch so früh war. Und sie würde dieses Alleinsein genießen.
Jetzt fühlte sie sich frei, freier als in der ganzen Zeit seit dem Tod ihres Bruders. Was war sie für eine Närrin gewesen, dass sie sich blindlings in eine solche Zukunft gestürzt hatte, nur um die Anerkennung ihrer Eltern zu bekommen, die sie doch ihr ganzes Leben nicht gehabt hatte!
Caroline legte einen knappen Kilometer zurück, spannte den kleinen Sonnenschirm auf, breitete ihre Strandmatte aus und streckte sich darauf aus. Über ihr kreisten die Möwen, und in den Bäumen hinter sich hörte sie andere Vögel. Darunter mischte sich das leise Rauschen der Wellen. Sonst war es still.
Lächelnd schloss Caroline die Augen und ließ sich von den Geräuschen des Meeres in den Schlaf wiegen.
Als sie aufwachte, saß Kaifar neben ihr im Sand. Er trug eine dunkle Badehose, hatte die Knie angezogen und blickte über den Golf hinaus. Sie lag schweigend da und genoss den Anblick, der sich ihr bot und der ihr mittlerweile fast vertraut war. Sein dunkles dichtes Haar und sein markantes Profil, dem man die Charakterfestigkeit ansah, sein muskulöser Oberkörper und die kraftvolle Ausstrahlung, die so anziehend auf sie wirkte. Ob es um Freunde oder Feinde
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