Julia Quinn
Pfund für mein
Schweigen. Hinterlegen Sie das Geld in einem einfachen Jutesack Freitag um
Mitternacht hinter dem »Bag of Nails«. Reden Sie mit niemandem.
Enttäuschen Sie mich nicht.
»Das ,Bag of Nails'?« fragte James
mit hochgezogenen Brauen.
»Das ist das Gasthaus im Ort.«
»Hast du das Geld dort
hingebracht?«
Sie nickte verschämt. »Aber nur,
weil ich wusste, dass du es nicht schaffen würdest, bis Freitag hier zu
sein.«
James überlegte, wie er seine
nächste Frage am geschicktesten formulieren sollte. »Ich finde, du solltest
mich lieber in dieses Geheimnis einweihen«, schlug er sanft vor.
Agatha schüttelte den Kopf. »Es ist
zu peinlich. Ich kann nicht.«
»Agatha, du weißt, ich bin diskret.
Und du weißt, ich liebe dich, als wärst du meine Mutter. Was immer du mir auch
erzählst, es bleibt in diesen vier Wänden.« Als sie nichts sagte, forschte
er weiter: »Welche deiner Töchter hat ein Geheimnis?«
»Melissa«, flüsterte Agatha.
»Aber sie weiß es nicht.«
James schloss die Augen und atmete
tief durch. Er wusste, was als Nächstes kommen würde, und wollte seiner Tante
die Verlegenheit ersparen, es selbst aussprechen zu müssen. »Sie ist unehelich,
nicht wahr?«
Agatha nickte. »Ich hatte ein
Verhältnis. Es dauerte nur einen Monat. Ach, wie jung und töricht ich damals
war.«
James gab sich alle Mühe, ein
gelassenes Gesicht zu machen. Seine Tante war immer die Verkörperung von
Anstand und Sitte gewesen; es war unvorstellbar, dass sie einmal aus ihrer Ehe
ausgebrochen war. Aber, wie sie selbst sagte, sie war jung und
vielleicht etwas naiv gewesen. Nach allem, was sie für ihn im Leben getan
hatte, fand er, dass er nicht das Recht hatte, sie zu verurteilen. Agatha war
seine Retterin gewesen, er hätte notfalls sein Leben für sie gegeben.
Agatha lächelte traurig. »Ich wusste
nicht, was ich tat.«
Wieder wählte James seine Worte mit
Bedacht. »Du hast also Angst, dass der Erpresser damit an die Öffentlichkeit
geht und Melissa Schande bereiten wird?«
»Ich pfeife auf die
Gesellschaft«, sagte Agatha unverblümt. »Die Hälfte von denen sind doch
selber Bastarde. Wahrscheinlich zwei Drittel derer, die nicht gerade Erstgeborene sind. Nein, ich mache mir Sorgen um Melissa. Sie ist sicher verheiratet
mit einem Earl, daher dürfte sie der Skandal nicht sonderlich berühren, aber
sie stand Lord Danbury so nahe. Er sagte stets, sie sei sein Lieblingskind. Es
würde ihr das Herz brechen, wenn sie erführe, dass er gar nicht ihr leiblicher
Vater war.«
James konnte sich nicht erinnern,
dass Lord Danbury Melissa näher gestanden hätte als seinen anderen Kindern. Im
Grunde war es sogar so, dass er keinem von ihnen wirklich nahe gestanden
hatte. Er war ein freundlicher Mann gewesen, aber sehr distanziert. Von ihm
hätte der Spruch stammen können: »Kinder gehören ins Kinderzimmer, und man
sollte sie nicht öfter als einmal am Tag zu sehen bekommen.« Doch wenn
Agatha behauptete, Melissa sei sein Lieblingskind gewesen, konnte er schlecht
etwas dagegen sagen.
»Was sollen wir jetzt tun,
James?« wollte Agatha wissen. »Du bist der Einzige, dem ich zutraue, mir
in dieser unangenehmen Geschichte behilflich sein zu können. Und bei deinen
beruflichen Erfahrungen ...«
»Hast du noch weitere Briefe
erhalten?« unterbrach James sie. Seine Tante wusste, dass er für das
Kriegsministerium gearbeitet hatte. Das war nicht weiter schlimm, da er kein
aktiver Agent mehr war, aber Agatha war nun einmal sehr neugierig. Es gab
einfach Dinge, über die James nicht mit seiner Tante sprechen wollte. Abgesehen
davon konnte er dafür gehängt werden, wenn er einige der Informationen
preisgab, die er im Lauf der Jahre eingeholt hatte.
Agatha schüttelte den Kopf.
»Nein.«
»Ich werde schon einmal im Vorfeld
ein paar Nachforschungen anstellen, aber ich vermute, weiter kommen wir erst,
wenn der nächste Brief eingegangen ist.«
»Du glaubst, es wird noch andere
Briefe geben?«
Er nickte grimmig. »Erpresser können
nie genug bekommen, wenn sie einmal angefangen haben, das ist ja das Schlimme
an ihnen. Einstweilen werde ich erst einmal die Rolle deines neuen Verwalters
spielen. Ich frage nur, wie mir das deiner Meinung nach gelingen soll, ohne
erkannt zu werden?«
»Ich dachte, gerade das sei deine
Stärke?«
»Stimmt«, gab er zurück. »Aber
ich bin hier mehr oder weniger aufgewachsen, während mich in Frankreich oder
Spanien niemand kannte.«
Agathas Blick richtete sich
plötzlich ins Leere.
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