Julia Quinn
Danbury House. Reise in unauffälliger Kleidung. Ich werde allen sagen, dass Du mein neuer Verwalter bist. Du
wirst Dich hier James Siddons nennen.
Agatha,
Lady Danbury
James hatte keine Ahnung, worum es ging,
aber das war genau das, was er brauchte, um der Langeweile entfliehen und
London verlassen zu können, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, dass
er sich vor seinen Pflichten drückte. Er reiste in einer Mietdroschke, da ein
Verwalter wohl kaum so edle Pferde besitzen würde wie er, und lief die letzte
Meile bis Danbury House zu Fuß. Alles, was er benötigte, war in einer einzigen
Reisetasche untergebracht.
Und so verwandelte er sich in den
einfachen Mr. James Siddons, ohne Zweifel ein Gentleman, doch momentan etwas
knapp bei Kasse. Seine Kleidung stammte aus dem hinteren Teil seines Schranks,
alles war gut geschnitten, aber schon leicht abgetragen und seit zwei Jahren
nicht mehr in Mode. Ein paar Schnipser mit der Küchenschere hatten den
exquisiten Haarschnitt, den er erst vor einer Woche hatte vornehmen lassen,
wirkungsvoll abgeändert. Jetzt erinnerte nichts mehr an den Marquis of
Riverdale, und James war über alle Maßen zufrieden mit seinem Werk.
Bestimmt gab es einen Haken an dem
Plan seiner Tante, doch das war zu erwarten, wenn man
Amateuren die Planung überließ. James war seit fast zehn Jahren nicht mehr in
Danbury House gewesen. Seine Arbeit für das Kriegsministerium hatte ihm kaum
Zeit für Familienbesuche gelassen, außerdem hatte er seine Tante nicht
unnötig in Gefahr bringen wollen. Dennoch musste es noch jemanden geben – ein
alterndes Faktotum, vielleicht den Butler –, der ihn wieder erkennen könnte.
Immerhin hatte er den Großteil seiner Kindheit hier verbracht. Andererseits
sahen die Leute meist nur das, was sie zu sehen erwarteten, und wenn man wie
ein Verwalter auftrat, dann sahen sie meist auch einen Verwalter vor sich.
Er war an den Stufen zu Danbury
House angekommen, als die Haustür aufflog und eine zierliche blonde Frau mit
gesenktem Kopf buchstäblich herausstürmte. James kam gar nicht mehr dazu, einen
Warnlaut auszustoßen, da war sie auch schon gegen ihn geprallt. Die junge Frau
schrie überrascht auf, als sie unsanft auf dem Boden landete. Eine Spange löste
sich aus ihrer Frisur, und eine Flut dichten hellblonden Haares fiel ihr über
die Schultern.
»Ich bitte um Verzeihung«,
sagte James und hielt ihr die Hand hin, um ihr beim Aufstehen zu helfen.
»Nein, nein«, wehrte sie ab und
klopfte ihre Röcke aus. »Es war allein meine Schuld. Ich habe nicht auf den Weg
geachtet.«
Sie nahm seine Hand nicht an, und
James war seltsam enttäuscht. Sie trug, genau wie er, keine Handschuhe, und
er hatte den eigenartigen Wunsch verspürt, ihre Hand in seiner zu halten.
Doch so etwas konnte er natürlich
nicht laut sagen, daher bückte er sich nur, um ihr beim Aufheben ihrer Sachen
zu helfen. Bei dem Sturz war ihr Retikül aufgegangen, und sein Inhalt lag jetzt
auf dem Boden verstreut. James reichte ihr ihre Handschuhe, und sie errötete.
»Es ist so warm heute«,
erklärte sie verlegen und sah widerwillig auf die Handschuhe.
»Bitte, ziehen Sie sie nicht
meinetwegen an«, meinte er lächelnd. »Wie Sie sehen, habe auch ich das
schöne Wetter als Vorwand benutzt, auf meine zu verzichten.«
Sie blickte eine Weile auf seine
Hände, dann schüttelte sie den Kopf. »Was für eine merkwürdige
Unterhaltung«, murmelte sie. Sie bückte sich wieder,
um die restlichen Dinge aufzuheben, und James tat es ihr gleich. Er hob ein Taschentuch
auf und wollte gerade nach einem Buch greifen, als sie einen erstickten Laut
von sich gab und es ihm regelrecht unter den Fingern wegschnappte.
James hätte zu gern gewusst, was das
wohl für ein Buch sein mochte.
Sie räusperte sich mehrmals. »Es ist
sehr freundlich von Ihnen, mir zu helfen, Sir.«
»Ich versichere Ihnen, das hat mir
gar nichts ausgemacht«, murmelte er und versuchte, doch noch einen Blick
auf das Buch zu erhaschen, aber sie hatte es bereits wieder in ihrem Retikül
verstaut.
Elizabeth lächelte ihn nervös an und
tastete verstohlen in ihrem Beutel, ob das Buch auch wirklich dort und nicht zu
sehen war. Wenn man sie dabei ertappte, dass sie so etwas las, würde sie vor
Scham im Boden versinken. Es war ganz natürlich, dass sich alle unverheirateten
Frauen nach einem Ehemann umsahen, aber wohl nur die dümmsten würden dazu ein Handbuch zu Hilfe nehmen!
Er sagte nichts, sondern sah sie nur
so aufmerksam und
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