Julia Sommerliebe 0023
war er von deinem Plan schockiert.“
Seine Miene blieb unergründlich. „Ich habe tatsächlich mit ihm darüber gesprochen. Er hat mir ziemlich unverblümt gesagt, dass er mich für einen Trottel hält, weil ich eine Neuauflage mit dir auch nur in Erwägung ziehe. Aber er war auch noch nie der Ansicht, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient hat. Ich bin da ein bisschen … toleranter.“
Claire konnte sich lebhaft vorstellen, wie sein jüngerer Bruder über sie hergezogen hatte. Von seinen Eltern war sie ebenfalls schlechtgemacht worden – auch wenn sie überzeugt war, dass Antonio ihr das nicht glaubte.
Sie hatte die letzte erniedrigende Szene mit seiner Mutter in der hintersten Schublade ihres Gedächtnisses abgelegt. Wochenlang hatte sie den Scheck im Portemonnaie mit sich herumgetragen, zu einem winzigen Quadrat zusammengefaltet.
Im Laufe der Zeit hatte der Scheck ebenso gelitten wie ihre Selbstachtung bei dem Gedanken daran, wie sie entlassen worden war – wie eine Bedienstete, die den unmöglichen Erwartungen ihres Arbeitgebers nicht gerecht wurde. Doch schließlich hatte sie ihn eingelöst, ohne eine Spur von schlechtem Gewissen, und ihrer Ansicht nach das Geld gut angelegt.
„Woher weißt du, dass es mein Bruder war, der dein Auto genommen hat?“, wollte Claire nun wissen. Misstrauisch musterte sie sein Gesicht. „Du hast doch nie jemanden aus meiner Familie kennengelernt.“ Zum Glück! Was er von meiner freundlichen, aber schlichten Mutter halten würde, sei mal dahingestellt. Aber meine Brüder, so lieb ich sie auch habe, rangieren weit unterhalb der hochgestochenen Kreise, in denen Antonio verkehrt.
„Als er von der Polizei gestellt wurde, hat er sich ausgewiesen. Er hat sich nicht die geringste Mühe gemacht, zu verbergen, dass er mein Schwager ist.“
Ihr Herz sank. „Wo ist er jetzt?“
„Ich habe veranlasst, dass er ein paar Tage bei einem Freund von mir verbringt, der an der Südküste ein Zentrum für Jugendliche führt, die mit dem Gesetz in Schwierigkeiten geraten sind.“
Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Ich will meinen Bruder sehen und mich davon überzeugen, dass es ihm gut geht.“
„Ich werde dafür sorgen, dass du am Telefon mit ihm reden kannst“, versprach Antonio.
3. KAPITEL
Claire lauschte mit zusammengepressten Lippen, während Antonio mit seinem Freund telefonierte. Dann reichte er ihr das Handy. Sie nahm es mit zitternden Fingern, hob es ans Ohr und wandte sich ab, damit er weder den Kummer auf ihrem Gesicht sehen noch hören konnte, was ihr Bruder zu sagen hatte.
„Isaac? Ich bin’s, Claire.“
„He, du! Was liegt an?“
Sie unterdrückte ein Seufzen. „Das weißt du doch ganz genau.“ Sie entfernte sich ein Stück weiter von Antonio und senkte die Stimme. „Warum hast du das getan? Warum in aller Welt hast du Antonio Marcolinis Auto genommen?“
Er stieß einen Fluch aus. „Weil ich es hasse, wie er dich behandelt hat. Ich dachte, es würde dir helfen. Warum soll der denn in so einem coolen Angeberauto rumfahren, wo deins eine Rostbeule ist? Reicher Mistkerl! Außerdem dachte ich, du wolltest dich von ihm scheiden lassen.“
Sie zuckte zusammen, weil Isaac so laut sprach, dass seine Stimme im Raum zu hören war. „Ich spiele mit dem Gedanken … zu ihm zurückzukehren.“
Er fluchte erneut. „Spinnst du jetzt total? Verdammt, warum hast du mir das neulich nicht erzählt?“
„Hätte es denn etwas geändert?“
Einen Moment lang schwieg er. „Ja … vielleicht … ich weiß nicht. Du warst ziemlich daneben wegen der Zeitung mit dem Artikel und dem Foto.“
Claire kniff die Augen zu. Warum hatte sie das Blatt nicht in den Müll geworfen, wohin es gehörte? „Hör mal, du musst mir versprechen, dich zu benehmen. Du kannst von Glück sagen, dass du diese Chance bekommen hast.“
„Mir bleibt ja gar nichts anderes übrig, wo ich hier eingeschlossen bin“, murrte er.
Sie runzelte die Stirn. „Du bist eingeschlossen?“
„Na ja – irgendwie. Es ist so was wie eine Besserungsanstalt für Jugendliche. Aber irgendwie ist es ganz okay hier. Das Essen schmeckt einigermaßen, und ich habe ein eigenes Zimmer und einen Fernseher gekriegt. Der Boss will, dass ich den anderen Kids Surfen beibringe. Vielleicht mache ich das tatsächlich. Ich habe ja schließlich nichts Besseres zu tun.“
„Bleib bitte da und tu, was man dir sagt, Isaac“, bat sie ihn.
„Also willst du echt zu dem Typen zurück?“
„Ja, ich gehe zu ihm
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