Julia Sommerliebe 0023
nicht, was ich mir damals dabei gedacht habe, mich überhaupt auf dich einzulassen.“
„Warum erzählst du mir dann nicht von deiner Welt? Du hast deine Herkunft früher äußerst selten erwähnt und wolltest nicht, dass deine Angehörigen zu unserer Hochzeit kommen. Dabei hatte ich sogar angeboten, die Flüge zu bezahlen. Ich habe ja nicht mal ein Foto von ihnen gesehen.“
„Ich liebe meine Familie.“ Claire wusste, dass sie bei Weitem zu defensiv klang. „Aber sie ist alles andere als perfekt. Das Leben war nicht leicht für sie. Besonders nicht für meine Mutter.“
„Was ist sie denn für ein Mensch? Du hast mir so wenig über sie erzählt.“
Claire strich sich die Korkenzieherlocken hinter das linke Ohr und überlegte, wo sie beginnen sollte. „Sie hatte es schwer im Leben. In sehr jungen Jahren hat sie ihre Mutter verloren.“
Claire konnte die Sorgen ihrer Mutter gut nachvollziehen. In gewisser Weise gab es ja Parallelen zu ihrem Leben. Sie erzählte weiter.
„Mit sechzehn ist sie schwanger geworden – vermutlich, weil sie so führungslos war. Sie hat immer an den falschen Orten nach Liebe gesucht. Auch aus den beiden folgenden Beziehungen ist jeweils ein Kind hervorgegangen, aber kein verantwortungsbewusster Vater.“
Das hatte natürlich auch Claire geprägt. „Weil ich die Älteste und das einzige Mädchen bin, wurde ich von klein auf praktisch die Erzieherin meiner Brüder. Mein Bruder Callum hat sich nach einer wilden Periode in der Pubertät ganz gut berappelt. Aber um Isaac mache ich mir Sorgen. Er ist manchmal zu impulsiv und handelt, bevor er denkt.“
„Er ist noch jung und wird mit der Zeit bestimmt vernünftiger, wenn er in die richtige Richtung gelenkt wird“, meinte Antonio aufmunternd. „Frank Guthrie wird ihm ein guter Mentor sein. Dein Bruder scheint einen starken männlichen Einfluss zu brauchen.“
„Wo hast du diesen Frank denn kennengelernt?“, fragte Claire. „Ich kann mich nicht erinnern, dass du ihn früher schon einmal erwähnt hast.“
„Ich habe seinen Bruder Jack vor etwa anderthalb Jahren operiert. Er war in einen Autounfall verwickelt und hatte schwerste Gesichtsverletzungen. Wir mussten Metallplatten und Schrauben in Stirn und Wangen einbauen und die Augenhöhlen neu formen. Er hatte Glück, dass er überlebt hat. Damit hatte niemand gerechnet, und schon gar nicht ohne schwere Narben oder Verunstaltung.“
Antonio blickte in die Ferne. In seinem Blick lag Genugtuung über seinen Beruf, eine tiefe Befriedigung darüber, dass er so viel für Menschen tun konnte. „Frank hat viel Zeit bei ihm im Krankenhaus verbracht. So haben wir uns kennengelernt und nach der Visite öfter mal bei einem Kaffee miteinander geplaudert.“
„Es ist bestimmt etwas ganz Besonderes, zu beobachten, wie sich ein Patient von so schlimmen Verletzungen erholt. Deine Eltern … Ich meine … Deine Mutter muss sehr stolz auf dich sein.“
Antonio lächelte sarkastisch. „Mein Vater hat mich immer deutlich spüren lassen, dass er gegen meine Berufswahl war. Er hätte es vorgezogen, dass ich in sein Unternehmen einsteige. Und meine Mutter hat sich jahrelang nur über meine endlosen Arbeitszeiten beklagt. Aber ich wollte schon immer Chirurg werden, solange ich denken kann.“
Claire griff nach ihrem Mineralwasser. „Wie kommt sie denn ohne ihn zurecht?“
Ein Schatten glitt über sein Gesicht. „Sie hält sich ganz gut, unter den gegebenen Umständen.“
Ihr Verdacht, dass der Tod seines Vaters ihn veranlasst haben könnte, ihr diese Versöhnung aufzudrängen, festigte sich immer mehr.
Bestimmt wurden gewisse Erwartungen an ihn als ältesten Sohn eines reichen Geschäftsmannes gestellt. Ein Erbe musste her. Aber Antonio konnte kaum ein Kind zeugen, solange er rechtskräftig mit seiner Noch-Ehefrau verheiratet war.
Eine Scheidung drohte vertrackt und zweifellos sehr öffentlich zu werden. Bei ihrer überstürzten Mussheirat vor fast sechs Jahren hatten Claire und Antonio sich nicht die Zeit für einen Ehevertrag genommen. Sicherlich wusste Antonio, wie es um das Familienrecht in Australien bestellt war. Ihr stand ein beträchtlicher Anteil an seinem Vermögen zu, einschließlich an dem Erbe seines Vaters, auch wenn sie nun schon so lange getrennt lebten.
Sie spielte mit dem Rand des Tischtuchs und bemühte sich, ihre Verwirrung vor Antonio zu verbergen. Würde ich ihn noch lieben, wäre alles anders. Ohne Zögern hätte ich ihn zurückgenommen.
Aber ihre Liebe zu ihm
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