Pakt mit dem Feind
1. KAPITEL
W as sie brauchte, war ein Wunder. Und zwar schnell.
Elizabeth Stanton saß in Houston am Schreibtisch ihres Arbeitszimmers. Das Herrenhaus aus grauem Stein stand zwischen riesigen Eichen und Kiefern in dem exklusiven Stadtteil River Oaks. Wer hier wohnte, gehörte zum alteingesessenen Geldadel der Stadt.
Ihr Vater, ihr Großvater und alle Männer früherer Generationen der Familie Stanton bis zurück in die ersten Jahre des 19. Jahrhunderts hatten an diesem Mahagonischreibtisch gearbeitet.
Bei einer Körpergröße von etwas über einem Meter sechzig und einer zierlichen Figur wirkte Elizabeth hinter dem massiven Möbelstück winzig. In dem abgewetzten Ledersessel, der davorstand, versank sie geradezu.
Wahrscheinlich wäre ihr das ganz passend vorgekommen, wenn sie darüber nachgedacht hätte. Im Augenblick fühlte sie sich tatsächlich klein und hilflos und wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte.
Elizabeth hielt den Bericht in der Hand, den ihr der Bankier vor weniger als einer Stunde übergeben hatte. Sie musterte die Zahlen, als ob sie sich auf wundersame Weise verwandeln würden, wenn sie nur lange genug daraufstarrte.
Nach einer Weile seufzte sie, senkte ihren Kopf und stützte die Stirn in die Hände. Sie musste sich den Tatsachen stellen: Sie war pleite. Oder so gut wie pleite. Was in Gottes Namen sollte sie nur tun?
“Verdammt sollst du sein, Edward Culpepper. Zur Hölle mit dir!”, fluchte sie durch zusammengebissene Zähne.
Plötzlich sprang Elizabeth so abrupt auf, dass ihr Sessel in die Mahagonianrichte hinter ihr krachte. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte sie sich Sorgen darüber gemacht, das Familienerbstück beschädigt zu haben, aber jetzt war sie so aufgeregt, dass sie es kaum bemerkte.
Ruhelos ging sie auf dem Perserteppich auf und ab. Nachdem sie einige Male ziellos im Kreis gelaufen war, blieb sie mit verschränkten Armen vor den gläsernen Terrassentüren stehen. Gedankenverloren strich sie über ihre smaragdgrüne Satinbluse und blickte auf den Rasen hinaus.
Zu dieser Jahreszeit gab es nicht viel zu sehen. Vor ein paar Wochen, Ende Oktober, war einer der berüchtigten texanischen “blauen Nordwinde” über Houston hinweggefegt. Innerhalb von nur einer Stunde waren die Temperaturen von schwülen 35 Grad fast bis auf den Gefrierpunkt gefallen. Seither hatte eine Kaltfront nach der anderen die Region heimgesucht.
Draußen zerrte ein stürmischer Wind an den Bäumen und wirbelte Blätter und Kiefernnadeln über den Rasen. Das Gras war durch die Kälte strohig geworden. Die Beete, die in verspielten Schmetterlings- und Arabeskenformen angelegt waren, versanken im Winterschlaf. Fast alle Pflanzen zeigten bereits kahle Zweige, und auch die Oleanderhecke um das Anwesen hatte ihr saftiges Sommergrün eingebüßt.
Für die kommende Nacht wurde starker Frost erwartet, und Dooley Baines, Elizabeths Gärtner und Hausmeister, kämpfte gerade gegen den Wind an, um die empfindlichen Pflanzen abzudecken.
Dooley und seine Frau Gladys, Köchin und Haushälterin in einem, arbeiteten schon so lange Elizabeth denken konnte in dem Haus in Houston. Sie hatten ihr gesamtes Eheleben in dem geräumigen Apartment über der Garage verbracht. Dort hatten sie ihre beiden Kinder großgezogen und mit der Hilfe von Elizabeths Vater zum College geschickt. Die beiden konnten mit Fug und Recht erwarten, hier weiter ihrer Arbeit nachzugehen, solange es ihnen möglich war.
Elizabeth beobachtete Dooley, wie er sich um seinen geliebten Garten kümmerte. Sein Rücken war gebeugt von der jahrelangen Arbeit in gebückter Körperhaltung. Glücklicherweise hatte er keine Ahnung, dass seine Arbeitgeberin und mit ihr seine gesicherte Existenz kurz vor dem Ruin standen.
Elizabeths Besitz in Houston umfasste, ebenso wie der ihrer meisten Nachbarn, mehrere Morgen Land. Über den oberen Rand der Hecke hinweg konnte sie das Schieferdach der Whittingtons durch die kahlen Zweige hindurch erkennen.
Mimi Whittington war ihre engste Vertraute. Sie gehörte zu der Handvoll Freunden, von denen Elizabeth wusste, dass sie ihr sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten beistehen würden.
Und im Augenblick waren die Zeiten ohne Zweifel schlecht.
Es schien fast, als hätte Elizabeth sie mit der Kraft ihrer Gedanken herbeigezaubert, denn genau in diesem Augenblick trat Mimi durch die Lücke in der Hecke zwischen den beiden Häusern und ging auf die Terrasse zu.
Diese Lücke war der einzige Makel an dem Garten, der
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