Julia
in das Mauerwerk hineinzubohren begannen, gingen Janice und ich hinter Umberto und Bruder Lorenzo in Deckung. Schon bald vibrierte die ganze Höhle vom Lärm der Zerstörung, und Kalktuffbrocken prasselten wie Hagelkörner von der Decke und bedeckten uns ein weiteres Mal mit Geröll.
Nicht weniger als vier Mauerschichten trennten das Massengrab von dem dahinterliegenden Raum. Sobald die Männer merkten, dass sie mit ihren Bohrmaschinen durch die letzte Schicht gedrungen waren, traten sie einen Schritt zurück und machten sich daran, den Rest mit Fußtritten zum Einstürzen zu bringen. Es dauerte nicht lang, bis sie ein großes, ungleichmäßiges Loch freigelegt hatten. Noch ehe der Staub sich ganz gelegt hatte, schob Cocco sie alle zur Seite, um ja der Erste zu sein, der mit seiner Taschenlampe durch die Öffnung leuchtete.
In der Stille, die auf den Lärm folgte, konnten wir deutlich hören, wie er ein ehrfürchtiges Pfeifen ausstieß, das im angrenzenden Raum ein unheimliches, hohles Echo erzeugte.
»La cripta!«, flüsterte Bruder Lorenzo und bekreuzigte sich.
»Los geht's!«, murmelte Janice. »Ich hoffe, du hast Knoblauch dabei.«
Coccos Männer brauchten etwa eine halbe Stunde, um unseren Abstieg in die Krypta vorzubereiten. Zunächst versuchten sie, die Tür bis zum Boden freizulegen, indem sie weiter in die ineinander verschränkten Knochen hineingruben und gleichzeitig die Mauerschichten wegbohrten. Irgendwann aber hatten sie dann die Nase voll von dieser staubigen Arbeit und begannen stattdessen, Knochen und Geröll durch die Öffnung zu werfen, um auf der anderen Seite eine Art Rampe aufzuschütten. Dem anfänglichen Klang nach zu urteilen, schlugen die Ziegelbrocken drüben auf einem Steinboden auf, doch je höher der Haufen wuchs, umso gedämpfter wurde das Geräusch.
Als Cocco uns schließlich als Erste losschickte, traten Janice und ich Hand in Hand mit Bruder Lorenzo den Abstieg in die Krypta an. Während wir vorsichtig den schrägen Berg aus Ziegelbrocken und Knochen hinunterkletterten, fühlten wir uns ein bisschen wie Überlebende eines Luftangriffs, die eine zerstörte Treppe hinabstiegen und sich dabei fragten, ob das wohl das Ende - oder der Anfang - der Welt war.
Unten in der Krypta empfand ich die Luft als viel kühler und eindeutig sauberer als in der Höhle darüber. Während ich mich im tanzenden Licht von etwa einem Dutzend Taschenlampen umblickte, rechnete ich halb damit, eine lange, schmale Kammer mit einer Reihe düster wirkender Sarkophage und strenger lateinischer Inschriften an den Wänden vorzufinden, doch zu meiner großen Überraschung handelte es sich um einen schönen, fast majestätisch wirkenden Raum mit einer gewölbten Decke und hohen Säulen als Stützpfeilern. Hier und dort standen eine Reihe von steinernen Tischen - ursprünglich wohl Altäre, die jedoch aller sakralen Gegenstände beraubt worden waren. Abgesehen davon war die Krypta hauptsächlich von Schatten und Stille erfüllt.
»O mein Gott«, flüsterte Janice und richtete meine Taschenlampe auf die uns umgebenden Wände, »sieh dir diese Fresken an! Die hat niemand mehr gesehen seit ...«
»Seit der Pest«, fiel ich ihr ins Wort. »Und wahrscheinlich tut ihnen das gar nicht gut ... die viele Luft und das Licht.«
Sie schnaubte entrüstet. »Das dürfte im Moment ja wohl unsere geringste Sorge sein ... falls ich dich daran erinnern darf.«
Während wir an der Wand entlanggingen und die Fresken bewunderten, kamen wir an einem Durchgang vorbei, dessen schmiedeeiserne Tür mit goldenen Filigranarbeiten verziert war. Ich leuchtete mit der Taschenlampe durch das Metallgitter. Dahinter befand sich eine Seitenkapelle mit Gräbern, die mich an den Dorffriedhof und die Tolomei-Grabstätte denken ließen, wo ich erst kürzlich mit Cousin Peppo gewesen war - auch wenn es mir vorkam, als wäre das schon ein ganzes Leben her.
Janice und ich waren nicht die Einzigen, die sich für die Seitenkapellen interessierten. Rundherum nahmen Coccos Männer auf der Suche nach dem Grab von Romeo und Giulietta jede einzelne Tür genauestens in Augenschein.
»Was, wenn es sich gar nicht hier befindet?«, flüsterte Janice mit einem nervösen Blick auf Cocco, der immer frustrierter wirkte, je länger die Suche ergebnislos blieb. »Oder wenn die beiden zwar hier begraben sind, aber die Statue irgendwo anders steht? ... Jules?«
Doch ich hörte ihr nur mit einem halben Ohr zu. Nachdem ich bereits mehrfach auf Brocken getreten
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