Julia
wieder hinaufgehen und weitere Leute entführen, die sie ebenfalls umbringen werden. Priester, Frauen, lauter unschuldige Leute. Es wird nie enden, bis eines Tages jemand sie zu diesem Grab führt.«
Nachdem Umberto übersetzt hatte, überlegte Bruder Lorenzo eine Weile. Dann deutete er auf mich und stellte eine Frage, die sich seltsam vorwurfsvoll anhörte.
»Er fragt, ob dein Ehemann weiß, wo du bist.« Umberto klang trotz der Umstände fast ein wenig gerührt. »Er findet es sehr dumm von dir, dass du dich hier mit diesen bösen Männern herumtreibst, während du doch eigentlich zu Hause sein und deine Pflicht tun solltest.«
Obwohl ich die Reaktion meiner Schwester mehr fühlte als sah, war mir klar, dass sie gerade genervt die Augen verdrehte und das Gespräch am liebsten sofort abgebrochen hätte. Für mich aber strahlte Bruder Lorenzo eine unglaubliche Aufrichtigkeit aus. Seine Worte hallten in mir auf eine Weise nach, die meine Schwester nie verstehen würde.
»Ich weiß«, antwortete ich und erwiderte den Blick des Mönchs, »aber meine wichtigste Pflicht besteht darin, dem Fluch ein Ende zu setzen. Das wissen Sie. Und ohne Ihre Hilfe kann ich das nicht.«
Nachdem er sich mit einem leichten Stirnrunzeln Umbertos Übersetzung angehört hatte, streckte Bruder Lorenzo die Hand aus und berührte meinen Hals.
»Er möchte wissen, wo das Kruzifix ist«, erklärte Umberto. »Das Kruzifix wird dich vor den Dämonen beschützen.«
»Ich ... ich weiß nicht, wo es ist«, stammelte ich. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie Alessandro mir die Kette mit dem Kreuz abnahm und sie - wohl hauptsächlich, um mich zu necken - neben seine Patronenkugel auf den Nachttisch legte. Bei meiner überstürzten Flucht hatte ich das Kruzifix völlig vergessen.
Bruder Lorenzo war mit meiner Antwort sichtlich unzufrieden, und dass ich den Adlerring nicht mehr trug, gefiel ihm ebenso wenig.
»Er sagt, es sei sehr gefährlich für dich, dich dem Grab derart ungeschützt zu nähern«, fuhr Umberto fort, während er sich einen Schweißtropfen von der Stirn wischte. »Er rät dir, deine Entscheidung noch einmal zu überdenken.«
Ich schluckte ein paarmal heftig, um mein rasendes Herz zu beruhigen. Dann erklärte ich, ehe ich es mir anders überlegen konnte: »Sag ihm, dass es für mich nichts zu überdenken gibt. Ich habe keine Wahl. Wir müssen das Grab heute Nacht finden.« Ich machte eine Kopfbewegung in Richtung der Männer hinter uns. »Das sind die wahren Dämonen. Nur die Jungfrau Maria kann uns vor ihnen beschützen. Aber ich weiß, dass ihnen ihre gerechte Strafe zuteilwerden wird.«
Endlich nickte Bruder Lorenzo, doch statt etwas zu sagen, schloss er die Augen und summte eine kleine Melodie, wobei er den Kopf langsam vor und zurück wiegte, als versuchte er sich an den Text zu erinnern. Ich warf einen raschen Blick zu Janice hinüber, die gerade Umberto ansah und dabei eine genervte Grimasse zog. Doch genau in dem Moment, als sie den Mund aufmachte, um meinen Erfolg - beziehungsweise Misserfolg - zu kommentieren, hörte der Mönch zu summen auf, öffnete die Augen und zitierte etwas, das wie ein kurzes Gedicht klang.
»Schwarzer Tod bewacht der Jungfrau Tür«, übersetzte Umberto. »Er sagt, so steht es in dem Buch.«
»In welchem Buch?«, wollte Janice wissen.
»Seht sie euch an«, fuhr Umberto fort, ohne auf ihren Einwurf zu achten, »die gottlosen Männer und Frauen, ausgestreckt vor ihrer Tür, die nun verschlossen bleibt auf immer. Laut Bruder Lorenzo muss es sich bei der Höhle hier um den alten Vorraum zur Krypta handeln. Die Frage ist nur ...« Umberto verstummte, weil sich der Mönch plötzlich in Bewegung setzte und unter leisem Gemurmel auf die Wand zusteuerte, die ihm am nächsten war.
Da wir nicht recht wussten, wie wir uns verhalten sollten, trotteten wir einfach brav hinter Bruder Lorenzo her, während er langsam den Raum umrundete und dabei eine Hand an der Wand entlanggleiten ließ. Seit ich entdeckt hatte, worauf wir gingen, empfand ich bei jedem Schritt einen leichten Schauder und war fast froh über den Zigarettenrauch, der mir ab und zu in die Nase stieg, denn er überlagerte jenen anderen Geruch in der Höhle, von dem ich mittlerweile wusste, dass es sich um den Gestank des Todes handelte.
Erst nachdem wir den Raum einmal ganz umrundet hatten und wieder an unserem Ausgangspunkt ankamen - wobei wir uns die ganze Zeit bemühten, nicht auf die verächtlichen Sticheleien von Coccos Männern zu
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