Julia
sehr feierliche Zeremonie ging weiter, bis der Trauzeuge - Malènas Mann Vincenzo - Bruder Lorenzo die Ringe reichte. Als Bruder Lorenzo den Adlerring sah, schnitt der Mönch eine Grimasse und sagte etwas, das alle zum Lachen brachte.
»Was hat er gesagt?«, flüsterte ich.
Alessandro nutzte die Gelegenheit und küsste mich auf den Hals, ehe er zurückflüsterte: »Er hat gesagt: Heilige Mutter Gottes, wie oft muss ich das eigentlich noch machen?«
Das anschließende Abendessen fand im Innenhof des Klosters statt, unter einem Dach aus sich rankenden Weinreben. Als die Dämmerung der Nacht wich, gingen die Lorenzo-Brüder hinein, um Öllampen und mundgeblasene Gläser mit Bienenwachskerzen zu holen, und schon bald leuchteten unsere Tische so warm und golden, dass das kühle Licht des Sternenhimmels im Vergleich dazu völlig verblasste.
Es war ein schönes Gefühl, neben Alessandro zu sitzen, umgeben von Leuten, die sonst niemals zusammengefunden hätten. Nach ihren anfänglichen Bedenken kamen Eva Maria, Pia und Cousin Peppo wunderbar miteinander aus. Endlich wurde mit den alten Missverständnissen zwischen den Familien aufgeräumt. Welcher Anlass wäre dafür besser geeignet gewesen? Schließlich waren sie unsere Taufpaten.
Die Mehrheit der Gäste aber waren weder Salimbenis noch Tolomeis, sondern Alessandros Freunde aus Siena und Mitglieder der Familie Marescotti. Bei seiner Tante und seinem Onkel war ich schon mehrfach zum Essen eingeladen gewesen - ganz zu schweigen von den ganzen Cousinen, die alle entlang der gleichen Straße wohnten. Seinen Eltern und Brüdern aus Rom jedoch begegnete ich an diesem Tag zum ersten Mal.
Alessandro hatte mich schon vorgewarnt, dass sein Vater, Oberst Santini, kein großer Anhänger der Metaphysik war, so dass seine Mutter sich gegenüber ihrem Ehemann lieber bedeckt hielt, wenn es um die Familiengeschichte der Marescottis ging, und ihm nur erzählte, was er unbedingt wissen musste. Mir persönlich war es mehr als recht, dass niemand von ihnen das Bedürfnis empfand, die offizielle Geschichte unseres Zusammenfindens anzuzweifeln. Gerade hatte ich unter dem Tisch erleichtert Alessandros Hand gedrückt, als seine Mutter sich zu mir herüberbeugte und mir mit einem verschmitzten Augenzwinkern zuflüsterte: »Wenn du uns in Rom besuchen kommst, musst du mir unbedingt erzählen, was wirklich passiert ist, ja?«
»Warst du schon einmal in Rom, Giulietta?«, wandte sich Oberst Santini an mich. Für einen Moment übertönte seine dröhnende Stimme alle anderen Gespräche.
»Ähm ... nein«, stammelte ich und grub dabei meine Fingernägel in Alessandros Oberschenkel, »aber ich möchte sehr gerne mal hin.«
»Seltsam ...«, meinte der Oberst mit leicht gerunzelter Stirn, »irgendwie kommt es mir vor, als hätte ich dich schon einmal gesehen.«
»Genauso ist es mir auch gegangen«, sagte Alessandro und legte einen Arm um mich, »als wir uns das erste Mal begegnet sind.« Mit diesen Worten küsste er mich voll auf den Mund, bis alle lachend anfingen, auf den Tisch zu klopfen, und sich das Gespräch - Gott sei Dank - dem Palio zuwandte.
Zwei Tage nach dem Drama in der Domkrypta hatte die Adler-Contrade das Rennen nach zwanzig enttäuschenden Jahren zum ersten Mal wieder gewonnen. Obwohl mir von ärztlicher Seite eigentlich Ruhe verordnet worden war, hatten Alessandro und ich uns mitten ins Getümmel gestürzt und die Wiedergeburt unseres Schicksals gefeiert. Hinterher waren wir zusammen mit Malèna, Vincenzo und all den andern aquilini in den Dom von Siena gepilgert, um an dem Festgottesdienst teilzunehmen, der zu Ehren der Jungfrau Maria veranstaltet wurde - zum Dank für den Sieg und den Cencio, den sie der Contrada dell'Aquila so gnädig hatte zukommen lassen, obwohl Alessandro in der Stadt war.
Während ich dort in der Kirche stand und in ein Lied einstimmte, das ich nicht kannte, musste ich an die Krypta denken, die irgendwo tief unter uns lag, und an die goldene Statue, von der nur wir wussten. Vielleicht würde die Krypta eines Tages wieder sicher genug für Besucher sein, und womöglich könnte Maestro Lippi die Statue restaurieren und ihr neue Augen geben, doch bis dahin war das alles unser Geheimnis. Vielleicht sollte das auch besser so bleiben. Die Jungfrau hatte uns gestattet, ihren Schrein zu finden, aber alle, die ihn in böser Absicht betreten hatten, waren gestorben. Nicht gerade ein vielversprechendes Ziel für Gruppenreisen.
Was den alten Cencio betraf, war er
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