Julia
ein Derwisch herumwirbelte und abwechselnd all die lachenden Polizeibeamten küsste. Das Einzige, woran ich mich erinnere, sind die Augen des Mannes, der nicht bereit war, mich ein weiteres Mal zu verlieren, und mich aus den Fängen des Barden befreite, damit wir endlich unser eigenes glückliches Ende schreiben konnten.
X
... und all dies Leiden dient
In Zukunft uns zu süßerem Geschwätz
Maestro Lippi verstand nicht, warum ich nicht stillsitzen konnte. Endlich waren wir hier: er hinter einer Staffelei und ich schön wie nie, von Feldblumen umrahmt und ins goldene Licht der Spätsommersonne getaucht. Er brauchte nur noch zehn Minuten, um das Porträt fertigzustellen.
»Bitte«, sagte er und schwenkte seine Palette, »nicht bewegen!«
»Aber Maestro«, protestierte ich, »ich muss jetzt wirklich gehen.«
»Ach was!« Er verschwand wieder hinter der Leinwand. »Solche Veranstaltungen fangen nie pünktlich an.«
Die Kirchenglocken des Klosters hinter mir auf dem Hügel hatten längst zu läuten aufgehört, und als ich mich ein weiteres Mal umwandte, sah ich eine Gestalt in einem flatternden Kleid den Hang heruntereilen.
»Lieber Himmel, Jules«, keuchte Janice, die zum Glück so außer Atem war, dass ich nicht die volle Wucht ihrer Entrüstung abbekam, »wenn du jetzt nicht auf der Stelle erscheinst, bekommt noch jemand einen Anfall!«
»Ich weiß, aber ...« Schuldbewusst blickte ich zu Maestro Lippi hinüber. Es widerstrebte mir, dass er nun meinetwegen seine Arbeit unterbrechen musste. Immerhin hatte er sowohl Janice als auch mir das Leben gerettet.
Es stand außer Frage, dass der Albtraum, den wir in der Krypta des Doms erlebt hatten, wohl ganz anders ausgegangen wäre, hätte der Maestro nicht einen - für ihn völlig untypischen - Moment der Klarheit gehabt und uns beide erkannt, als wir, umringt von Musikanten und in Contraden-Fahnen gehüllt, über die Piazza del Duomo marschiert waren. Er hatte uns schon von weitem gesehen, doch als er beim Näherkommen feststellte, dass wir Fahnen der Einhorn-Contrade trugen, die mit unserer Eulen-Contrade aufs heftigste rivalisierte, hatte er sofort begriffen, dass da etwas ganz und gar nicht stimmte.
Deshalb war er sofort zurück in sein Atelier geeilt und hatte die Polizei angerufen. Wie sich herausstellte, befand sich Alessandro ohnehin gerade auf dem Revier und verhörte zwei Taugenichtse aus Neapel, die sich bei dem Versuch, ihn zu töten, die Arme gebrochen hatten.
Wäre Maestro Lippi nicht gewesen, dann wäre die Polizei uns vermutlich nie in die Krypta gefolgt, und Alessandro hätte mich nicht aus dem Fluss Diana retten können ... so dass ich nun wohl kaum in Bruder Lorenzos Kloster in Viterbo säße, noch dazu schön wie nie.
»Es tut mir leid, Maestro«, sagte ich, während ich aufstand, »aber wir müssen das ein anderes Mal beenden.«
Während ich zusammen mit meiner Schwester den Hügel hinaufrannte, konnte ich mir ein Lachen nicht verbeißen. Sie trug eines von Eva Marias maßgeschneiderten Kleidern, und natürlich passte es ihr perfekt.
»Was ist so lustig?«, fauchte sie, immer noch verärgert wegen meiner Verspätung.
»Du«, kicherte ich. »Ich begreife einfach nicht, wieso mir nicht schon viel früher aufgefallen ist, wie ähnlich du Eva Maria siehst. Und wie ähnlich du klingst.«
»Vielen Dank!«, gab sie zurück. »Ich schätze, das ist immer noch besser als zu klingen wie Umberto ...« Doch kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, verzog sie auch schon bedauernd das Gesicht. »Es tut mir leid.«
»Es braucht dir nicht leid zu tun. Ich bin sicher, er ist im Geiste bei uns.«
Die Wahrheit war, dass wir keine Ahnung hatten, was aus Umberto geworden war. Seit der Schießerei in der Domkrypta hatte ihn kein Mensch mehr gesehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er - genau wie ich - vom Erdboden verschluckt worden, nachdem sich durch den Einsturz der zweiten Säule der Untergrund aufgetan hatte, aber tatsächlich gesehen hatte es niemand. Alle waren zu sehr damit beschäftigt gewesen, nach mir Ausschau zu halten.
Auch die vier Edelsteine wurden nie gefunden. Ich persönlich vermutete, dass Mutter Erde ihre Schätze zurückgenommen hatte, indem sie die Augen von Romeo und Giulietta wieder ihrem Schoß einverleibte, genau wie sie auch den Adlerdolch zurückverlangt hatte.
Janice dagegen war felsenfest davon überzeugt, dass Umberto die Klunker eingesackt hatte und durch die Bottini-Höhlen entwischt war, um in den schnieken
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